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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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“Ist es diesmal wieder anders?”

1. Februar, 2009 · 1 Kommentar

FragezeichenEine der größten Sorgen der Marktteilnehmer ist es, dass der aktuellen Krise eine lange Rezession (wenn nicht eine ausgewachsene Depression) folgen wird. Japans “verlorene Dekade” erscheint vielen als die unausweichliche Zukunftsperspektive. Selbstverständlich leiden die Aktienmärkte unter solchen “Androhungen” extrem. Kaum etwas drückt die Kurse mehr als die düsteren Perspektiven von langen, sehr langen Perioden der Schrumpfung und der dann unvermeidbaren Gewinnerosion.

Und nicht nur das: Die Magnitude der aktuellen Finanzkrise hat längst historische Ausmaße erreicht. Die Bedrohung (und zwar: nicht nur in Zahlen ausgedrückt) erscheint so kolossal, dass sich die Marktteilnehmer offensichtlich bange fragen: “Ist es diesmal doch nicht anders?”

Etwas, was in “normalen Zeiten” sofort als “typischer Anlegerfehler” erkannt worden wäre, wird jetzt ziemlich überall als die große Ausnahme gehandelt.

Für die Börse kommen dabei zwei wichtige Faktoren (gleichzeitig) in näherer Betracht:

  • Erwartete Schrumpfung der Wirtschaftsleistung
    Die Investoren (wie erwähnt) sind bezüglich der Entwicklung der Wirtschaft und der Unternehmensgewinne sehr verunsichert (und zwar für beides: Größenordnung von Rezession und Verlusten sowie deren zeitliche Ausdehnung).
  • Fortschreitender Kursverfall an den Aktienbörsen
    Hier insbesondere: Die Investoren sind zusätzlich wegen des (berüchtigten) De-Leveraging (Prozess des Schuldenabbaus) äußerst verunsichert bzw. direkt in ihm “verwickelt” — sprich: Sie müssen Eigenkapital aufnehmen, um das Fremdkapital noch tragen zu können; sprich: Sie müssen u.a. fremdfinanzierte Assets verkaufen.

Heute möchte ich auf die Ergebnisse einer Untersuchung verweisen, die explizit frühere Finanzkrisen mit der heutigen Situation vergleicht: Is This Time Different? Systemic Financial Crises and Their Effect on Economies and the Markets (Bernstein Global Wealth Management).

Ganz kurz: In der Wirtschaftsgeschichte mangelt es nicht gerade an Finanzkrisen. Große Finanzkatastrophen, insbesondere in den entwickelten Ländern sind zwar relativ selten, aber die Autoren der Untersuchung haben immerhin 200 Finanzkrisen in über 100 Ländern für die letzten 130 Jahre ausgemacht. Davon ist natürlich nur ein Bruchteil “relevant”, d.h. eigenet sich für die Analyse der entwickelten Volkswirtschaften mit einem … hm … entwickelten … Bankensystem.

Für den endgültigen Vergleich wurden 15 Krisen herangezogen (Klick auf die Grafik für größere Ansicht):

Ausgewählte Finanzkrisen für die historische Analyse
Quelle: Bernstein.com, Link zum Dokument oben

Für die oberen zwei Faktoren/Indikatoren erweist sich die aktuelle Krise als groß, aber noch nicht außergewöhnlich (“nicht außergewöhnlich” natürlich im Vergleich zu sonst auch nicht gerade alltäglichen Wirtschaftserschütterungen).

Wie man unten sehen kann, stellen die Autoren die Loan Contraction in den Fokus. Dies erscheint durchaus plausibel und entspricht den Analysen und Beobachtungen aus früheren Krisen. Immer ging eine Finanzkrise mit Kreditschrumpfung einher bzw. die Kreditschrumpfung verursachte die (realwirtschaftlichen) Krisenerscheinungen.

In der aktuellen Situation haben wir ganz klar mit dem gleichen Problem zu kämpfen. Die Banken sind nicht in der Lage und/oder nicht willens, Kredite in ausreichenden Mengen zu vergeben. Die Konsumenten sind auch nicht in der Lage und/oder willens, Kredite nachzufragen. Für uns ergibt sich (zumindest) ein wichtiger Indikator, der uns möglicherweise die Entspannung/die Wende signalisieren wird.

Ein wichtiger Punkt: Die früheren Krisen haben alle dem Muster gefolgt — Je schneller und steiler die Kreditexpansion in den Jahren vor dem Peak, desto schneller und steiler die Kreditkontraktion in den Jahren danach.

Wir können es natürlich noch nicht wissen, aber nimmt man die Kreditexpansion in den letzten 3 Jahren (zum Peak 1. Quartal 2008), hat man wenigstens eine Richtgröße: +20% (Details im Dokument). Mit einer vertretbaren Wahrscheinlichkeit könnte man nun von einer Kreditschrumpfung im Bereich von 20% ausgehen. Dies würde, so die Untersuchung, die Größenordnungen von ca. 7% BIP-Rückgang und ca. 50% Börsenverluste implizieren.

Im Folgenden — zwei Grafiken, die dies veranschaulichen:

Korrelation zwischen Loan Contraction (Schrumpfung der Kreditmenge) und Rückgang des BIP
Historischer Vergleich Finanzkrisen vs. BIP-Rückgang; Quelle: bernstein.com

Korrelation zwischen Loan Contraction (Schrumpfung der Kreditmenge) und Rückgang der Aktienkurse
Historischer Vergleich Finanzkrisen vs. Kursrückgang an den Börsen; Quelle: bernstein.com

Also — bliebe es bei einer 20%-igen Kreditschrumpfung…

  • … dürften die Börsen bereits “fast alles” eingepreist haben;
  • … würde die Wirtschaft aber erst noch den harten Schlag zu spüren bekommen.

Vielleicht kann man sogar glimpflicher davon kommen? In der Analyse lesen wir über die — wie wir wissen — einmaligen Maßnahmen der Fed und der US-Administration hier entgegenzuwirken:

… the government added about 4 trillion in lending market support, effectively backstopping over 70% of the deposit und debt liabilities of the financial system’s primary credit intermediaries.

Nichtsdestotrotz erkennt man klar die Gefahr, dass die effektive Nachfrage nach Kredit stark sinken kann. Verbraucher und Unternehmer können, verunsichert durch die Rezession, einfach auf weitere Kredite “verzichten” und stattdessen eifriger sparen (ein Problem bekannt etwa aus den Zeiten der Großen Depression unter dem Namen “Paradox of thrift“).

Deswegen richtet man sehr deutlich große Hoffnung auf die Konjunkturprogramme, die — kurzfristig — einen Kollaps der Kreditnachfrage verhindern sollen (diese wichtige Rolle der Konjunkturprogramme habe ich auch schon mal erwähnt und zu einem Punkt für meine Börsenprognose 2009/2010 gemacht).

Könnte ich das Gesagte jetzt vielleicht so zusammenfassen?…

  • Die aktuelle Finanzkrise scheint nicht so ganz anders zu sein als frühere.
  • Sie folgt dem bekannten Muster von (schneller) Kreditexpansion und (ähnlich schneller) Kreditkontraktion.
  • In der Geschichte haben wir auch Schlimmeres gesehen (gleichwohl: wir wissen nicht, wo wir letztendlich ankommen werden).
  • Bei einem vergleichbaren Verlauf des “Kredit-Expansions-Kontraktions-Zyklus” würde die Wirtschaft in eine noch tiefere Rezession verfallen (z.B. -7% BIP-Wachstum, USA), aber die Börsen haben (mit ca. -50%) schon sehr viel (das Meiste?) eingepreist.
  • Die Fed wirkt massiv entgegen und schafft Voraussetzungen, dass die Kreditschrumpfung nicht so hoch ausfällt.
  • Für die andere Seite — die Kreditnachfrage — richtet sich die Hoffnung auf die Wirkung der Konjunkturprogramme.
  • Die Chancen stehen insgesamt nicht (zum Verzweifeln) schlecht.

Kategorien: Analysen · Frontpage · Gesamtmarkt

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