anzeige

Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
Börsennotizbuch random header image

Einige Bausteine einer Analyse

15. Oktober, 2008 · 14 Kommentare

BausteineIch muss gestehen, dass ich heute seit dem Vormittag keine Gelegenheit fand, auf die Kurstafel zu schauen (nun, ich habe auch einen “normalen Job”…).

Noch gestern überlegte ich, einen Artikel zu schreiben, in dem ich mich skeptisch über die letzte Rally äußern wollte. Jetzt klingt das alles verspätet und aufgesetzt. Denn (ich dachte gar nicht, dass es so schnell soweit sein wird) der Dax rutscht heute völlig aus und fällt wieder mal um 6,5 Prozent. Wall Street ergeht es ähnlich.

Dabei gab es kein plötzliches negatives Ereignis wie sonst eher üblich für größere Kursstürze. Es gab… Konjunkturnachrichten. Und eine Rede von Fed-Chef Ben Bernanke vor dem Economic Club of New York (Orignal-Text hier).

Der Markt regierte jedoch hektisch — ein Zeichen für schlechte technische Verfassung. Und das ist gerade mein Punkt (den ich bereits in einem vorherigen Beitrag gebracht habe):

  • Der Markt befindet sich in einer besonders umfassenden und tiefen schlechten technischen Verfassung. Am Geldmarkt herrscht Not; der Handel funktioniert nicht richtig; die Banken benötigen dringend selbst Kapital; Fonds und andere Finanzakteure sind entweder selbst mit den Problempapieren oder mit Misstrauen, oder mit Liquiditätsproblemen, oder zumindest mit Mittelabflüssen von verunsicherten Investoren konfrontiert.
     
    Die Indikatoren dafür — Zinsspreads, LIBOR, TED-Spread — sind im knallroten Bereich. Die Zinssenkungen können hier noch nicht so schnell helfen; die Rettungspläne eigentlich auch nicht über Nacht. Mit einem kranken und trockenen Geldmarkt ist die Richtung gen Sünden viel wahrscheinlicher.

Ich wollte trotzdem noch kurz schildern, welche Überlegungen sonst für mich eine größere Rolle spielen. Diese sind nicht einseitig. Und ich muss mich ab und an wiederholen:

  • Die Aktienpreise sind gerade dabei die Beziehung zu einem vernünftigen und langfristig zu erwartenden Fundamentalwert massiv zu verlieren. Nach unten, versteht sich. Im Moment wird, meiner Meinung nach, so viel Luft aus den Bewertungen “herausgepresst”, dass sich für einen langfristigen Investor gute Kaufkurse ergeben sollten.
  • Der nächste Punkt, der allerdings im Moment sehr ambivalent ist, ist das Sentiment. Die Stimmung ist sehr schlecht, zuweilen miserabel. Gewöhnlich unterstützt pessimistisches Sentiment eine Kaufentscheidung. Die Ambivalenz entsteht aber durch die bereits eingesetzte negative Abwärtsspirale. Ganz simpel ausgedrückt: Die Stimmung drückt die Kurse, die Kurse drücken die Stimmung. Und schlimmer geht immer. Zum Beispiel, wenn die richtige Pein der Konjunkturkrise einsetzt (und nicht nur die Angst davor).

Von diesen Punkten, gewichte ich zur Zeit die Liquiditätssituation (also: Zinsen, Geldmärkte, Spreads) eindeutig höher, zumal sie in eben diesem schwachen Sentimentumfeld auftritt. Die Bewertung allein kann die Kurse nicht aufhalten und nicht steigen lassen. Die niedrige Bewertung kann nur eine höhere Wahrscheinlichkeit liefern, dass sich die Kurse in Zukunft (und das heißt, bei Gott, nicht morgen) erholen und eine ansehnliche Rendite bringen können. Aber erst, wenn der Markt imstande ist, diese zu erkennen und zu realisieren (d.h. hat die effektive Kaufkraft).

Im Moment sieht es nicht ganz danach aus — deswegen glaubte ich, dass die Rally von Montag verpuffen wird. Und dass wir noch einige schwere Rückgänge erleben werden.

Man muss sich das Ganze auch vor Augen führen — die Banken kollabieren (auch wenn sie letztendlich von den Regierungen mehrheitlich gestützt und am Leben erhalten werden). Es muss ein Wunder passieren, wenn dies nicht die Kreditvergabe, das reale Wirtschaftsleben und die realen Investitionen betreffen würde. Und die Konjunkturkrise hat noch nicht richtig eingesetzt… Der einzige (aber falls richtig, dann, natürlich, unschätzbar wertvolle) Punkt niedriger Fundamentalbewertungen steht zur Zeit leider zu einsam da…

Ich bin – bekennenderweise – kein Trader. Ich orientiere mich an einem Mix aus teils fundamentalen, teils zyklischen Marktfaktoren. Auch wenn einige Ampeln auf Grün für Kaufen stehen, würde ich seeeehr langsam sein. Die Krise ist enorm, sie kann auch länger dauern. Und gerade jetzt scheint der Markt noch sehr anfällig.

Kategorien: Analysen · Frontpage · Gesamtmarkt · Prognosen · Sentiment

Tags:, , , , , , ,

Vor- und zurückblättern (aktuelle Kategorie) ↓

Anzeige ↓


Verwandte Beiträge ↓



14 Kommentare bis jetzt ↓

  • Nico // 16. Okt, 2008

    Ich war nach dem sensationellen Montag auch skeptisch. Vor allem die Berichte, wonach der Kursgewinn das Resultat des Rettungspakets gewesen sein soll, stimmten mich nachdenklich. Heute sieht das aber etwas anders aus. Klar, Dow und Dax haben gestern wieder dramatisch verloren, doch ist da meiner Meinung nach auch viel Markttechnik dabei. Nach so einem Anstieg eigentlich kein Wunder. Wenn sich der Fokus der Anleger wieder stärker auf Quartalszahlen legt, besteht die Chance, dass auch die Volatilität wieder “normal” wird und sich die Aktienmärkte nach und nach stabilisieren.

  • decoien // 16. Okt, 2008

    Anders als in der vergangenen Woche werden für den erneuten Kurssturz Rezessionsängste als Gründe genannt und nicht mehr eine Systemkrise. Dies ist einerseits beruhigend. Anderseits spiegelt sich in der heutigen Kursentwicklung auch ein großes Stück Irrationalität wieder, die ich als Ankereffekt ansehen würde.
    Auf die aktuelle Marktlage übertragen bedeutet dieser Ankereffekt: Für die gestrigen Konjunkturdaten und -prognosen dient das aktuell relative niedrige Kursniveau als Referenz, also als Anker, von dem aus nun die schlechten Konjunkturnachrichten quasi “abgezogen” werden. Hätten wir die gleichen Konjunkturdaten vor fünf Wochen erhalten, dann hätte es möglicherweise ebenfalls einen starken Kursrückgang gegeben, aber von einem deutlich höheren Ausgangsniveau aus. Dies zeigt einmal mehr, wie psychologisch anfällig die Märkte aktuell sind.
    Prognosen oder gar Handlungsempfehlungen will ich dennoch nicht abgeben. Ist nicht mein Ding.

  • egghat // 16. Okt, 2008

    Du wirst skeptisch?

    Soll das nur ne Finte sein oder muss ich jetzt antizyklisch investieren?

    Meine Meinung: Wir haben die Finanzkrise eingepreist und die Rezession wird gerade eingepreist. Wir sind 35% vom Top gefallen. Lass es nochmal 10% werden, aber viel mehr kann ich mir nicht vorstellen.

    Welche Assetklasse ich aktuell am meisten mag? Firmenbonds. Historisch hohe Aufschläge, die die Rezession bereits berücksichtigen. Dort gibt es wieder 8% und das erscheint mir nicht die schlechteste Rendite zu sein.

  • Saviano // 16. Okt, 2008

    Ich will mir auch nicht viel mehr als 10% vorstellen… Können tue ich es aber… Die schlechte Liquiditätssituation (hier vor allem die Disfunktionen am Geldmarkt) gefallen mir überhaupt nicht. Daher bin ich skeptischer geworden, was die kurzfristigen Chancen einer Trendwende angeht.

    Wie ich geschrieben habe — fundamental (bewertungstechnisch) haben wir die meiste Luft aus den Kursen rausgelassen (es war vorher auch nicht sonderlich viel drin). Antizyklisch könnte man daher bereits einsteigen (und meine gestiegene Skepsis dazu genommen — klares Kaufsignal… ;-) ).

    Aber wie Du auch erwähnst — die Aktien sind womöglich nicht die Nummer 1. Firmenbonds sind gut verzinst… Diese hohen Zinsen machen mir Sorgen für die Aktien.

    Wie gesagt, ich würde schon kaufen. Aber wenig und langsam. Für den Anfang mit Summen, die man lange liegen lassen kann.

  • Saviano // 16. Okt, 2008

    Ach, darf ich zitieren (von Valueinvesting.de, ganz frischer Beitrag):

    Zwar ist die Risikotoleranz der Menschen unterschiedlich, Bill Nygren rät aber denjenigen, die aufgrund ihrer Aktienengagements in der Nacht nicht schlafen können, genau so viele Aktien zu verkaufen, bis die innere Ruhe wieder hergestellt ist und gibt somit der Gesundheit den Vorrang. Auch wenn das Geld, das derzeit in Aktien investiert ist, in absehbarer Zeit benötigt wird, rät Nygren zum Verkauf und weist noch einmal darauf hin, dass das an der Börse eingesetzte Kapital immer auf Geldmittel begrenzt sein sollte, die in einem Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht anderweitig benötigt werden.

    Menschen, die keine Probleme mit dem Schlafen haben und nicht gezwungen sind, ihre Aktien in der nahen Zukunft zu veräußern, sollten nach der Überzeugung von Bill Nygren keine Aktien verkaufen. Tatsächlich ist Nygren der Meinung, dass der derzeitige Aktienmarkt ein sehr interessantes Umfeld für die Neuinvestition darstellt.

    So kann man es auch sagen.

    Außerdem: Ich las in der Zeitung etwas wie “Auch langfristige Investoren raten jetzt abzuwarten, bis sich die Kursausschläge beruhigt haben”. Nicht die Kursausschläge interessieren mich so, sondern die Zinsaufschläge. Wenn sich die letzteren beruhigen (oder viel mehr: fallen), kann man mutiger werden….

  • Nouriel Roubini Interview: Weiterhin düstere Aussichten • Börsennotizbuch // 16. Okt, 2008

    [...] ich weiß nicht. Ich fühle mich unbehaglich. Mein Kommentar von gestern hat prominente, aber irgendwie nicht erfreuliche Gesellschaft: Dem Aktienrally wird der Atem [...]

  • Ein wenig Charttechnik: Ein Ausbruch naht • Börsennotizbuch // 21. Okt, 2008

    [...] Wie ich mich bereits geäußert habe, würde ich trotz günstigen Bewertungen und schwachem Sentiment eher weiteres Absinken der Börsenkurse erwarten — aufgrund der immer noch sehr unvorteilhaften und anfälligen Geldmarktlage. [...]

  • Noch ein Zitat des Tages: Als erstes, definiere das Problem! • Börsennotizbuch // 24. Okt, 2008

    [...] habe gerade nicht so viel Zeit… Was soll ich wieder auf die “besonders umfassende und tiefe schlechte technische Verfassung des Marktes” [...]

  • Marc Faber: “Falls wir eine Erholung zu unseren Lebzeiten sehen…” • Börsennotizbuch // 12. Nov, 2008

    [...] ich trotzdem wiederholen — so düster sehe ich den Markt, weiß Gott, nicht. Nur, ich beobachte nach wie vor die Zins- und Liquiditätssitutaion und sehe nur ein bisschen Entspannung. Ein bisschen zu wenig, meine [...]

  • Bottom-Fishing • Börsennotizbuch // 18. Nov, 2008

    [...] Zum Sentiment habe ich hier auch in aller Deutlichkeit geschrieben. Ob es der ifo war (hier für September, Oktober war auch schlecht), der ZEW-Index, das IPO-Sentiment, die Kommentare zu den Mittelabflüssen der Fondsindustrie, das US-amerikanische Verbrauchervertrauen auf einem Allzeit-Tief (hier noch etwas zum Thema Wendepunkte Sentiment vs. Aktienmarkt), allgemeine Bemerkungen zur Sentimentslage oder Sonstiges. Das miese Sentiment ist ja einer der Bausteine der Analyse. [...]

  • Versicherer wollen vorerst keine Aktien kaufen… • Börsennotizbuch // 24. Nov, 2008

    [...] gebunden ist, kann sich gegen die “eingeengten” Institutionellen positionieren (aber langsam). Schließlich werden die zukünftigen Gewinne zum großen Teil von der [...]

  • Die Renditen der High Yield Bonds kommen fast auf das Niveaus vor der Lehman-Brothers-Pleite zurück • Börsennotizbuch // 22. Jul, 2009

    [...] Einige Bausteine einer Analyse. [...]

  • “Ist es diesmal wieder anders?” • Börsennotizbuch // 24. Jul, 2009

    [...] Fortschreitender Kursverfall an den Aktienbörsen Hier insbesondere: Die Investoren sind zusätzlich wegen des (berüchtigten) De-Leveraging (Prozess des Schuldenabbaus) äußerst verunsichert bzw. direkt in ihm “verwickelt” — sprich: Sie müssen Eigenkapital aufnehmen, um das Fremdkapital noch tragen zu können; sprich: Sie müssen u.a. fremdfinanzierte Assets verkaufen. Etwas mehr dazu: Im Artikel “Bausteine einer Analyse” [...]

  • 2009 — Das Jahr der Wende? • Börsennotizbuch // 16. Dez, 2009

    [...] dazu habe ich in den “Bausteinen” zusammengefasst, die für mich immer noch gültig [...]

Kommentieren: