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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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“Alles in die Waagschale werfen”

13. Oktober, 2008 · 3 Kommentare

Das Wochenende war eine willkommene Pause von den Turbulenzen an den internationalen Börsen. Denn in dieser Woche erlebten wir einen neuen Hochpunkt der über einem Jahr andauernden Finanzkrise:

Die Aktien stürzten mehrere Tage lang regelrecht ab; die Zentralbanken mussten mit einer “orchestrierten” Aktion eingreifen und senkten die Zinsen noch am Mittwoch um 50 Basispunkte; die Börsen ließen sich dadurch erstmal kaum beruhigen — die wichtigsten Indizes setzten gleich darauf ihre Talfahrt fort und markierten wieder mehrjährige Tiefs. Marktbeobachter berichteten von überall über panische Stimmung, Panik-Verkäufe, Angst und Verwirrung…

In diesem recht dramatischen Umfeld mussten die Regierenden irgendwie schnell eingreifen, wenigstens für ein Stückchen Ruhe sorgen und vor allem das System vor einem (völligen) Kollaps bewahren. Sie sind jetzt aufs Höchste für die ganze Bedrohung sensibilisiert.

Zunächst tagten die G-7-Finanzminister. Dabei ist Folgendes herausgekommen: G-7 Finance Ministers and Central Bank Governors, Plan of Action. Völlig zurecht wird dieses Statement an vielen Stellen kritisiert, gar belächelt — es ist einfach eine Absichtenerklärung (Wunschzettel?) mit wenig konkreten Maßnahmen (ich komme aber nocheinmal darauf zurück)

Konkreter wird es beim Pariser Treffen der Staatschefs der Eurogruppe. Es sieht danach aus, dass hier bald ein handfesterer Plan beschlossen wird. Deutschland ist auch dabei; die Rede ist von umfassenden Staatsgarantien für die Banken und massive Eigenkapitalspritzen.

Die Bundesregierung plant dem Vernehmen nach ein Gesetz, das zwei große Schritte vorsieht. Berlin will den zum Erliegen gekommenen Geldfluss zwischen den Banken mittels Bürgschaften über rund 300 Milliarden Euro garantieren. Da auch erstklassige Adressen einander misstrauten, sei es notwendig, das Ausfallrisiko vom Staat tragen zu lassen, hieß es. Zweitens ist vorgesehen, die Kapitalausstattung der Banken mit Staatsgeld zu verbessern. Hierfür steht ein Betrag zwischen 50 und 100 Milliarden Euro zur Debatte. Es herrscht große Sorge vor einer Kreditklemme. Letztlich geht es auch darum, Banken vor der Schließung zu bewahren.

Faz.net, Euro-Staaten beschließen Rettungsplan für Banken

Die Medien verfolgen ansonsten die Entwicklungen ganz eng — einige Lesetipps:
 
Spiegel.de: Euro-Gipfel beschließt Krisenhilfe für Banken
FTD.de-Dossier: Europa wagt den letzten Versuch
NYTimes.com: European Leaders Agree to Inject Cash Into Banks.

::::::

Ich möchte erstmal mit den Nachrichten langsam aufhören und drei für mich wesentliche Aspekte der Lage hervorheben:

  • Zentralbanken und Regierungen “werfen alles in die Waagschale”, um die Krise zu lösen (wie Thomas Müller in seiner neuesten Kolumne sagt).
     
    Auch wenn so Mancher darüber nur skeptisch lächeln mag, glaube ich, dass die “Systemlenker” sehr mächtige “Waffen” besitzen, die zwar nicht sofort, aber in absehbarer Zeit die Lage unter Kontrolle bringen können. Und spätestens jetzt wird nicht mehr “gekleckert”, sondern wirklich intensiv eingegriffen. Auch wenn die Pläne nicht überall konkretisiert und die Maßnahmen nicht überall gestartet worden sind, scheint eines bereits klar: Es wird aggressiv gegen einen Systemkollaps interveniert (denn nichts weniger als das steht – erklärterweise – auf dem Spiel).
  •  

  • Der Kern der Krise ist nicht (mehr) Bewertung, sondern Vertrauen; und aus dem mangelnden Vertrauen ergibt sich eine sehr angespannte Liquiditätssituation am Geldmarkt und bei den Finanzinstituten.
     
    Die Zinsmärkte, vor allem der Interbanken-Markt, funktionieren nicht richtig. Und zwar seit langem. Die Banken sind diversen “Abwärtsspiralen” ausgesetzt, die neulich sehr gut von Dieter Wermuth angesprochen sind (gegenseitiges Misstrauen im Interbanken-Markt, unvorteilhafte Struktur der Zinskurve, zusammengeschmolzenes Eigenkapital).
     
    Jedoch haben die Zentralbanken und die Regierungen die Mittel, alle diese Punkte zu heilen. Die Pläne zielen in die gleiche Richtung, und besonders in Europa scheinen sie die drei Wunden gerade richtig zu adressieren — umfassende Garantien, Zinssenkungen (wobei über Garantien die Beruhigung des Interbanken-Marktes stark flankiert wird, Stichwort: viel zu hoher LIBOR-Satz) und, last but not least, die Ausstattung der Finanzinstitute mit frischem Eigenkapital (auch wenn – oder gerade wenn – dies eine (Teil-)Verstaatlichung bedeutet).
  •  

  • Der Markt ist offensichtlich in Panik geraten. Und noch mehr: Der Markt ist vor dem Hintergrund einer extrem schlechter Stimmung unter hohen “materiellen” Druck geraten. Diverseste Adressen müssen Aktien (equities) verkaufen, und zwar nicht aufgrund irgendwelcher Evaluierungen von Konjunktur- und Gewinnaussichten oder Ãœberlegungen über das Bewertungsniveau, sondern – ganz banal gesprochen – weil sie das Geld brauchen und aus den Papiern müssen.
     
    Ich kann mir gut vorstellen, dass so mancher (“schlauer”) Fondsmanager oder Portfolio-Manager bei einer Bank die aktuellen Kurse schon attraktiv finden kann und trotzdem mit gebundenen Händen da steht und verkaufen muss, weil sein Institut woanders gerade den Boden unter den Füßen verliert…
     
    Panische Stimmung und materieller Druck führen in meinen Augen dazu, dass die Aktien momentan (jegliche) Beziehung zu den fundamentalen Werten verlieren (s. zuletzt Umsatz vs. Marktkapitalisierung der Dax-Unternehmen). Von einem technisch völlig überverkauften Markt erst gar nicht zu sprechen.

Es ist richtig, “das Messer ist gerade voll am Fallen” — Zugreifen könnte gefährlich sein. Aber wenn wir in ein paar Jahren zurückblicken können (ergo: die Welt steht noch), könnten uns die heutigen Kurse als unglaubliche Schnäppchen erscheinen.

(Besonders, wenn die Zinsen, z.B. nach dem richtungsweisenden Bund-Future, noch etwas sinken würden. Das sollte noch eine (kleine) Weile brauchen).

Kategorien: Frontpage · Gesamtmarkt · Sentiment

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3 Kommentare bis jetzt ↓

  • Stefan // 13. Okt, 2008

    Ich kann nicht wirklich glauben, dass es nochmal eine Woche so stark nach unten geht. Am Freitag habe ich erste Aktien — zum ersten Mal seit etwa einem Jahr — gekauft. Als Zielmarke für diese Krise habe ich aber 2500-3000 im Dax im Visier.

  • Hohe Volatilität: Die Börsen am Gummiseil • Börsennotizbuch // 13. Okt, 2008

    [...] an die 5-7 Prozent an mehreren Tagen ab; das wiederum in einer breiten Intraday-Range. Und heute, nach den Fortschritten bei den Rettungsaktionen, gleich Vollgas in die andere Richtung — eine Stunde nach Eröffnung notieren wir [...]

  • Einige Bausteine einer Analyse • Börsennotizbuch // 15. Okt, 2008

    [...] Der Markt regierte jedoch hektisch — ein Zeichen für schlechte technische Verfassung. Und das ist gerade mein Punkt (den ich bereits in einem vorherigen Beitrag gebracht habe): [...]

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