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Börsennotizbuch

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George Soros erwartet neuen Test der tiefsten Aktienstände von diesem Jahr

8. Mai, 2008 · 9 Kommentare

George Soros ist nicht gerade optimistisch für die Entwicklung der Aktienmärkte. Gott weiß, dass auch seine Prognosen nicht immer korrekt waren, aber es spricht hier ein unbestritten kompetenter Investor.

Seine neueste Markteinschätzung ist auf den Seiten des Wall Street Journals wiedergegeben und auf jeden Fall lesenswert.

Auch wenn insgesamt mit einem Retest der tiefsten Stände von diesem Jahr zu rechnen wäre (also eine pessimistische Aussicht), klingt nicht alles in seiner Analyse so düster. Schauen wir uns die Sache an…

Vielleicht ist es hilfreich noch einmal zu erinnern, dass George Soros die Bankenkrise als die größte seit den 30er Jahren bezeichnet hat. Aus einem solchen Standpunkt (das war noch Anfang dieses Jahres) ist es natürlich nicht leicht, etwas Anderes als abstürzende Märkte zu erwarten und – folgerichtig – die aktuellen Kurssteigerungen als “Bear Market Rally” zu charakterisieren.

Um die Logik, die Soros im Artikel äußert, andersherum aufzubauen, würde ich mit dem “Positiven” anfangen:

Soros glaubt, die Bankenkrise, zumindest die Bankenkrise wie wir sie bisher erlebt haben, ist vorbei.

Das heißt der hohe Abschreibungsbedarf, entsprechend die hohen Abschreibungen, die vorgenommen wurden, der Liquiditäts-Squeeze mit den “Highlights” Northern Rock (bank run in “klassischer” Form, d.h. an die Bankschalter, inkl. nachfolgender Nationalisierung) und Bear Stearns (Zusammenbruch einer renommierten Investmentbank, inkl. ihre durch die Fed ermöglichte Ãœbernahme), die Geldmarkterschütterungen und Ähnliches sind schon mal hinter uns. Oder wenigstens ist der Markt ausreichend darauf sensibilisiert, so dass diese Reihe von Problemen größtenteils eingepreist sein soll.

Soros sagt hierzu ganz klar:

I personally think we have the acute phase of the financial crisis largely behind us. The authorities have as their mission to stop the system from falling apart and providing liquidity at all costs. They’ve done it and have passed several thresholds. That is a source of reassurance that the system is not going to fall apart.

Und noch ein paar Worte der (relativen) Zuversicht:

A repeat of Japan’s 1990s experience is “the pessimistic extreme” he told the audience. Japan had “a real estate bubble and a financial system loaded down with bad debt. The big difference between Japan and us is here, the losses are being recognized, written off. Some of the writeoffs may turn out to be excessive.”

Eine Wiederholung der japanischen Krise (solche Vergleiche werden häufig herangezogen), ist also zwar möglich (als eine Art “worst case scenario”), insgesamt jedoch ist sie nicht sehr wahrscheinlich. Der große Unterschied bestehe darin, dass die Verluste größtenteils tatsächlich bekannt gegeben und abgeschrieben wurden. Es könne sich sogar herausstellen (was ich im Ãœbrigen auch vermute), dass einige der Abschreibungen übertrieben waren.

Soweit so gut.

Trotzdem glaubt Soros nicht, dass alles überstanden ist. Der richtige Schmerz stehe uns eigentlich noch bevor. Und er heißt Rezession — die berüchtigte Ansteckung der realen Wirtschaft. Noch haben wir diese nicht hinter uns, und, so Soros, es ist sehr unwahrscheinlich, dass die massiven Verwerfungen im Finanzsektor, die wahnwitzigen Hebel und Ãœberschuldungen, die Unterschätzung von Risiken etc., die jetzt irgendwie “rückentwickelt” werden, ohne signifikante negative Folgen für die reale Wirtschaft bleiben.

Also — mächtige Gewitterfront vor der “Main Street”…

Dies wird auch die Aktienkurse unweigerlich drücken. Und sogar ziemlich bald und wieder bis auf die tiefsten Stände, die wir in diesem Jahr gesehen haben. Und sollten die Börsen diesen Test nicht bestehen, drohen noch tiefere Notierungen.

Hier würde ich eine “Anwendung” der eigenen Reflexivitätstheorie vermuten.

Vor Jahren habe ich mal folgende Grafik aus seinem Buch “Alchemie der Finanzen” nachgebaut (und finde sie wieder auf meinem Computer!):
Soros Boom Burst Sequence

Die so genannte “Boom-Burst-Sequence” wiedergibt einen typischen Zyklus, anhand dessen Soros seine Reflexivitätstheorie illustriert. Das Wesentliche sollte leicht ersichtlich sein, ich will jetzt hier nicht ins Detail gehen.

Obwohl hier ein Aufwärtszyklus dargestellt wird, kann man in die andere Richtung auch ähnliche (wenn auch nicht exakt die gleiche) Abfolge vermuten (bin mir nicht sicher, ob Soros es so macht; Buch gerade nicht zur Hand). Die Abwärtsbewegung an der Börse ist ähnlich, wenn auch nicht “spiegelbildlich” der Aufwärtsbewegung. Die Kurse fallen etwas schneller und abrupter. Trotzdem, denke ich, kann man einige der Ãœberlegungen übertragen.

Lange Rede, kurzer Sinn — ich glaube, Soros sieht uns irgendwo im Bereich des “Tests” (aber in einer Abwärtsbewegung).

Man müsste sich etwas Baisse-Dynamik dazudenken und das Ganze auf den Kopf stellen:

George Soros Boom Burst Sequence auf dem Kopf

Nach dem erster Absturz vom hohen Niveau erfolgt ein Test. Erstens korrigieren die Kurse, die über der “fundamentalen Bewertung” standen, auf angemessenere Stände. Vielleicht tauchen sie sogar darunter. Der Markt hat sich bereits mit den offensichtlichen Gründen für die Korrektur auseinandergesetzt und hat diese womöglich bereits eingepreist. Zum Teil als technische Reaktion, zum Teil in Folge einer (kurzfristigen und scheinbaren) Unterbewertung reagiert der Markt mit einer Erholung. Das ist der Test.

Sollte aber der Verkaufsdruck Ãœberhand gewinnen und (in der Theorie: anschließend) sich die fundamentalen Bewertungsgrößen weiter negativ entwickeln, wird der Markt erneut die alte Richtung mit neuer Dynamik einschlagen — hier: nach unten. Diese Bewegung kann sich sogar beschleunigen…

Wie gesagt, ich glaube, Soros sieht uns in der Testphase: Kurzfristig könnten wir (“auf dem Papier”) sogar leicht unterbewertet sein, sprich die aktuelle Auswirkung der Finanzkrise sogar etwas übertrieben eingepreist haben. Dies ist aber keine nachhaltige Konstellation. Nach dem “Lehrbuch” (und nicht nur nach Soros) haben Bear Markets gewöhnlich (mindestens) eine Bear Market Rally.

Mal schauen, ob wir erfolgreich testen.

(Ich bin nicht mit allen Ãœberlegungen von Soros einverstanden, wollte sie aber auf jeden Fall hier aufnehmen (zu den Differenzen schreibe ich praktisch einen ganzen Blog…). Ich habe bereits geschrieben, ich erwarte auch einen Test bzw. nicht die unmittelbare Rückkehr der Hausse — vielleicht passt “Sell in May” auch prima; insgesamt bin ich aber eindeutig optimistischer…).

Etwas mehr zur Reflexivitätstheorie und der aktuellen Krise: “Reflexive” Probleme an den Finanzmärkten.

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9 Kommentare bis jetzt ↓

  • egghat // 9. Mai, 2008

    Ich glaub Soros war letztes Jahr der am zweitbesten verdienende Hedgefonds-Manager mit 2,9 Milliarden Dollar Einkommen.

  • egghat // 9. Mai, 2008

    Übrigens teile ich die Grundauffassung von Soros (und das schon seit längerem, sprich zu früh ;-) ): Die Finanzkrise ist zum großen Teil vorbei, die normale Rezession geht jetzt erst los.

    Ich bin mir nicht sicher, ob die Rezession dann nicht nochmal über eine Rückkopplung zu einer weiteren Bankenkrise führt. Immerhin schießen in Rezessionen die Ausfallraten der Kredit sowohl von Privathaushalten und Unternehmen ohnehin immer durch die Decke. Keine Ahnung, ob das auch schon eingepreist ist …

    Abschließend beurteilen kann das ganze sowieso niemand, da keiner weiß, ob die Immobilienpreise insgesamt 20 oder 30 oder 40% fallen. Bei letzterem bin ich mir aber sicher, dass das nicht in den Kursen drin ist.

  • Kult-Investor Soros zur internationalen Marktlage | Aktien Blog // 9. Mai, 2008

    [...] Richtig Mühe gegeben hat man sich beim Börsennotizbuch. Dort wertet man im gestrigen Post umfassend die Einschätzung der aktuellen Marktlage und die [...]

  • Käseplatte // 18. Mai, 2008

    Vielleicht sollte man lieber auf Alternative Investments schauen, zumindest wird man dann immer noch satt!

    Ob da Soros schon zugegriffen hat ;-)

  • Ein lauer Aktiensommer? • Börsennotizbuch // 17. Jun, 2008

    [...] Und hier irgendwo schließt sich der Kreis: Den tendenziell günstigen Aktien stehen jetzt anziehende Zinsen, Rest-Spannung aus der Banken-Krise und teurere Rohstoffe (inflations- und zinstreibend) im Weg. Die Wirtschaft (vor allem USA, aber auch Europa und global) scheint aber eher geordnet zu konsolidieren. In diesem Spannungsfeld würde ich etwas länger und etwas mehr Druck auf die Dividendentitel (im Vergleich zu Thomas Müller) erwarten. Das Umfeld bremst — das muss man, denke ich, einfach feststellen. Daher habe ich vor einem Monat Soros zitiert und einen erneuten Test der Tiefstände aus März in Aussicht gestellt. [...]

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    [...] glaube, die Börsen spüren das bereits, sie wollen scheinbar den zweiten Test (der Tiefstände) bzw. etwas mehr Risiko-Puffer. Die Börsen reagieren in der Regel viel sensibler auf die [...]

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    [...] George Soros erwartet neuen Test… [...]

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