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Börsennotizbuch

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Bei Vertrauenskrise — leihe (Vertrauen)!

13. Mai, 2008 ·

In opposition to what might be at first sight supposed, the best [policy] . . . to deal with a drain arising from internal discredit, is to lend freely. The first instinct of everyone is the contrary.

Mit anderen Worten: Sollte Vertrauensverlust zu einer Liquiditätskrise geführt haben, ist die beste Politik, Kredit frei zu gewähren — und dies obwohl die instinktive erste Reaktion in einer solchen Situation das Gegenteil dessen ist.

Das ist ein Zitat von Walter Bagehot, den Ben Bernanke in seiner Rede am Dienstag anlässlich des jährlichen Treffens der Distriktnotenbank von Atlanta angeführt hat.

Bagehot war ein britischer Ökonom, Verfassungstheoretiker sowie Herausgeber der Wochenzeitung „The Economist“. Bagehots Analysen und Schriften haben viel zum politischen System Englands und zum Verständnis von Parlamentarismus und des Prinzips der Zentralbanken beigetragen. (Wiki)

Die Rede behandelt die Liquiditätskrise sowie die Reaktionen der Fed darauf und ist empfehlenswert.

Ach so, Sie haben keine Zeit oder Lust, sich das ganze durchzulesen? Dann möchte ich, die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte kurz wiedergeben.

Die Rede befasst sich mit der Liquiditätskrise, die seit August des vergangenen Jahres, also jetzt schon gut 9 Monate, die Finanzmärkte vor schwierigen Herausforderungen stellt. Natürlich ist sie mit einer “staatstragenden” Nüchternheit verfasst, die die Kompetenz der Bank unterstreichen und ihre Fähigkeit, die Krise erfolgreich zu bewältigen, bekräftigen soll. Trotzdem klingt Bernanke (zwischen den Zeilen) nicht sehr entspannt, nicht zuletzt, weil die Krise eigentlich verdächtig lange dauert und die Erfolge (auch wenn unumstritten) noch nicht überzeugend genug erscheinen.

In der Rede schildert Bernanke zunächst grundsätzliche Prinzipien eines Kreditsystems. Hierzu bezieht er sich eben auf die Arbeiten von Walter Bagehot, unter anderem, um zu illustrieren, dass die Problematik sowie die intellektuelle Grundlage für die Handlungensoptionen der Notenbanken eine bereits lange Tradition haben (Walter Bagehot’s Lombard Street, ein Werk über das Finanz- und Bankensystem mit explizitem Fokus auf die Bewältigung von Finanzkrisen, erscheint 1873).

Die regelmäßigen Leser des Blogs werden es wissen — das Finanzsystem ist auf Vertrauen aufgebaut; Vertrauen ist die wichtigste Komponente, die ein (für die Allgemeinheit dann insgesamt doch sehr vorteilhaftes) Zusammentreffen zwischen Kreditgebern- und -nehmern ermöglicht. Man könne sogar zunächst beiseite stellen, ob dieses Vertrauen (gänzlich) gerechtfertigt bzw. (bis aufs Letzte) rational begründet ist… Schwindet das Vertrauen, gerät das Finanzsystem “automatisch” unter Stress.

Entgegen der “natürlichen” Reaktion der beteiligten Akteure, in Zeiten von schwindendem Vertrauen und Illiquidität ihre Ressourcen zusammenzuhalten, soll die Zentralbank gerade dann, freien Kredit gewähren. Obwohl dies, so auch Bernanke, eine sehr vereinfachte Handlungsempfehlung ist, die in der Praxis natürlich nicht so unkompliziert umzusetzen ist / werden darf, repräsentiert es im Kern genau das, wass die Fed in den vergangenen 9 Monaten ununterbrochen versucht hat — sie hat dem Markt über unterschiedliche Instrumente (viel) Kredit bzw. Liquidität zur Verfügung gestellt. Die Fed handelte, so zu sagen, “strikt” nach dem Lehrbuch, und gewichtete stets die Gefahren einer massiveren Disruption am Finanzmarkt (also auch beim Vertrauen) höher als die möglichen Bedenken über Moral Hazard und/oder Inflation (und ich glaube, dies wird sich nicht ändern, solange sehr deutliche Signale ausbleiben, dass die Märkte ausreichend liquide sind und in üblicher Weise funktionieren).

Erste Aufgabe also — Liquidität auf jeden Fall bereitstellen.

Bernanke schildert weiter (komprimiert) den Ablauf der Liquiditätskrise sowie die entsprechenden Reaktionen der Fed. Dabei erwähnt er, dass im Vergleich zu den europäischen Notenbanken (wie der EZB oder der Bank of England) die Fed traditionell weniger geldpolitische Instrumente einsetzt, um die Liquiditätssituation zu beeinflussen:

The European Central Bank (ECB), for example, routinely conducts open market operations with a wide range of counterparties against a broad range of collateral. In recent months, in light of intense pressures in term funding markets, the ECB has provided relatively large quantities of reserves through longer-term open market operations. Extending this strategy, the ECB also introduced a new refinancing operation with a six-month maturity. The first of these was executed on April 2 and was well received. The Bank of England has followed a similar strategy, expanding their term open market operations and accepting a wider range of collateral. Very recently, the Bank of England also initiated a special liquidity facility that allows banks to swap high-quality mortgage-backed and other securities for U.K. Treasury bills.

Also, die europäischen Zentralbanken scheinen etwas besser gewappnet zu sein, auf ihren normalen Wegen und im Rahmen ihrer normalen Aktivitäten, die Liquidität zu erhöhen. Die Fed dagegen musste in der aktuellen Situation “erfinderisch” werden, sprich: sich eines Instrumentariums bedienen, auf das sie gewöhnlich nicht zurückgreift.

(Das, würde ich mal behaupten, hat auch für Irritationen gesorgt. Die Sorge war – und ist – groß, dass die Krise tatsächlich historische Dimensionen erreicht, wenn die Fed nicht mit ihren üblichen “Waffen” auskommt. Die “innovativen” Tools die die US-Notenbank einsetzte, waren vielleicht Quelle für faktische Entspannung, aber weniger für eine psychologische… vorerst).

So wurden Schritt für Schritt auch “Besonderheiten” eingeführt wie:

Term Auction Facility (TAF): “In effect, TAF auctions are very similar to open market operations, but conducted with depository institutions rather than primary dealers and against a much broader range of collateral than is accepted in standard open market operations”.

Term Securities Lending Facility (TSLF), which allows primary dealers to exchange less-liquid securities for Treasury securities for terms of 28 days at an auction-determined fee. Recently, the Federal Reserve expanded the list of securities eligible for such transactions to include all AAA/Aaa-rated asset-backed securities.

Primary Dealer Credit Facility (PDCF). The PDCF allows primary dealers to borrow at the same rate at which depository institutions can access the discount window, with the borrowings able to be secured by a broad range of investment-grade securities.

Mit kurzen Worten: Die Möglichkeiten für Liquiditätsbeschaffung wurden ausgeweitet — erstens, natürlich volumenmäßig (größere Tranchen), zweitens, der Kreis der berechtigten Akteure wurde vergrößert (darunter besonders auf die Primary Brokers), und, drittens, die Sicherheiten, die von der Notenbank akzeptiert werden, wurden ebenso erweitert (darunter auch auf asset-backed securities und Papiere niedrigerer Bonität — aber immer noch investment-grade, wenn das noch was Wert ist ;-) ).

Dies alles natürlich neben den Zinssenkungen des Federal Funds Rate (Leitzinssatz) und des Discount Rate (Diskontsatz) — die Differenz zwischen den beiden wurde auch von den “üblichen” 100 BP auf 25 BP verringert.

Unter anderem spricht Bernanke die Rettung von Bear Stearns an — und hier, genauso wie bei der generellen Liquiditätssituation, war die Option, die Bank fallen zu lassen, nicht wirklich offen. Bernanke zitiert an zwei Stellen den Satz “The time for economy and for accumulation is before. A good banker will have accumulated in ordinary times the reserve he is to make use of in extraordinary times” — in etwa: Vor der Krise muss man denken und Reserven aufbauen, die man in der Krise einsetzen kann. Oder (noch freier): Wenn die Krise da ist, muss man erstmal handeln und sich nicht nach adäquaten Reserven umschauen; die Zeit für Risiko- und Liquiditäsmanagement ist vor der Krise.

So adressiert Bernanke auch das Moral-Hazard-Problem (zumindest meine Interpretation): Jetzt muss gerettet werden und, um den Bankern nicht den (dauerhaften) Eindruck zu geben, bei jeder Krise ist die Notenbank stets da, sollte man später (in besseren Zeiten) die Regulierung stärken und verschärfen.

Ich denke, hier im Blog haben wir diese Linie auch früh erkannt. Die offene Frage bleibt wohl noch, wie viel Inflationierung das System ertagen wird bzw. ob die “Bernanke’sche Wette” (wie ich sie einmal genannt habe) aufgehen wird — dass die schwächere Konjunktur die Inflation (deutlich und bald) bremsen wird. Auf jeden Fall, die Fed ist gewillt, die Liquidität in Ordnung zu bringen. Und sie hat auch ausreichend “Waffen”, um dies umzusetzen. Wie es aussieht, wird Bernanke die Märkte nicht so leicht ohne frisches Geld lassen. Neun Monate nach der ersten Zinssenkung scheint “Don’t fight the Fed” ein noch brennenderer Rat zu sein. Aber es heißt “don’t fight” und nicht (unbedingt) “follow”

Kategorien: Frontpage · Gesamtmarkt

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