anzeige

Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
Börsennotizbuch random header image

“Bilanz ist nicht, was sie ist, sondern was gemacht wird”

17. Februar, 2009 · 3 Kommentare

insolvent: Eine Frage der Definition

“Bilanz ist nicht, was sie ist, sondern was gemacht wird,” schreibt André Kostolany in seinem Buch “…und was macht der Dollar”, und setzt fort:

“Während ich das schreibe, fällt mir die Antwort meines Vaters ein, den ich fragte, als eine vornehme Bank im alten Ungarn in Konkurs ging, wie dies möglich sei: ‘Sehr einfach’, sagte er, ‘sie machte Bilanz und war pleite’.

Aber damals, in den siebziger Jahren, war dies nicht der Fall, da man keine Bilanz machen musste. Denn was geschah? Nichts!”

Ein Ãœbel dieser Finanzkrise, so kann man schlussfolgern, ist es, dass die Banken auf einmal alle Bilanz machen müssen. Hätten wir uns das irgendwie sparen können… Hätten wir ein paar Bilanztricks früher erfinden können, wie die Forderungen aufgewertet und langsam abgeschrieben werden können, sähe die Welt jetzt anders aus.

Aber es scheint dafür definitiv zu spät zu sein. Nicht nur kamen die Verluste zu Tage, man fordert von den Banken noch, dass sie sich Stress-Tests unterziehen. Was würde der alte Kostolany wohl denken: Die Banken sind auch in normalen Tagen praktisch pleite, bei einem (ehrlichen) Stress-Test würden sie sofort den Insolvenzverwalter bestellen müssen. Ist klar, und war auch immer so…

Die berüchtigten Stress-Tests aber kommen. Wieder. Ich sage “wieder”, denn ich erinnere mich gut an die Zeit um 2002, als die deutschen Versicherer (vor allem die) zu ähnlichen Risikoanalysen verpflichtet wurden. Hintergrund damals: der sehr starke Preisverfall der Aktien, von denen die Versicherer in den Boom-Jahren eine ganze Menge erworben und die Aktienquoten bis an die 30 Prozent hochgefahren hatten. Das Resultat war … ein Ausverkauf der Risiko-Papiere (sonst konnte man die Tests nicht bestehen) und ein Dax-Tief von 2.200 Punkten.

Und jetzt wieder? Noch weiß ich es nicht, und ich hoffe nicht in dieser Form. Aber Stress-Tests werden durchgeführt. Zumindest, “um die Verfassung der Banken zu überprüfen”, wie US-Finanzminister Geithner damals in seiner Rede vage formulierte.

Also testen wir, haben sich die Analysten bei CreditSights gesagt, und unterwarfen die großen US-Banken einem ihrer “severe” case Szenarios (severe = ernst, hart, heftig). Im Dealbook-Blog der New York Times wird dieses “Experiment” vorgestellt:

CreditSights’ projections were driven by its own forecast for future credit losses based on how badly the market could perform over the next two years. Under these assumptions, the losses from mortgage-related products would be significantly higher than the amount the banks have set aside already. It also envisions an unemployment rate of 10 percent.

Dealbook, NY Times, Under One Stress Test, Big Banks Look Anemic

Also welche Verluste drohen:

  • Wells Fargo: 119 Milliarden Dollar
  • Bank of Amerika: 99 Milliarden Dollar
  • JPMorganChase: 124 Milliarden Dollar
  • Citigroup: 101 Milliarden Dollar
  • Goldman Sachs: 47 Milliarden Dollar
  • Morgan Stanley: 34 Milliarden Dollar

Ich mag die Zusammenfassung von egghat hierzu:

Da wollen wir doch mal keine Angst haben, das passt schon mit dem 1 Billionen Dollar Rettungsplan zusammen … Und auch wenn die Zahlen an sich ziemlich hoch sind, wären sie sogar fast schon mit den bereits gewährten Mitteln aus dem 750 Mrd. TARP zu decken. Ich würde sogar sagen, dass wenn es sich wirklich um Worst Case Annahmen handeln sollte, wäre das sogar eher eine positive Zahl …

Aber was ist Worst Case? Ein Immobilienpreisrückgang um insgesamt 30, 40 oder 50%? Die Arbeitslosenquote steigt auf 8, 10 oder 15%? Ein Staat macht Pleite? Keiner? Oder direkt mehrere? Man weiss es nicht … Und somit kann man die Glaubwürdigkeit der Zahlen nicht weiter beurteilen.

Das stimmt auch deswegen (richtiges Testen und Bewerten ist eine aufwendige Angelegenheit):

If you want to do a proper stress testing with qualified people across the banking system then your accounting bills will be in excess of $3 billion dollars.

… um zurück auf die Frage nach der Solvenz zu kommen, zitiere ich oben von diesem sehr wertvollen (aber sehr spezialisierten) Beitrag: Bank solvency and the “Geithner Plan”.

  • Zum einen werden hier unterschiedliche Definitionen von (Banken-)Solvenz bzw. Insolvenz diskutiert. (Insolvenz ist nicht schwarz-weiß, es gibt viele graue Nuancen). Demnach sind die US-Banken nicht nach allen möglichen Definitionen insolvent. Wenn also einer die Insolvenz des Finanzsystems anspricht, müssen Sie ihn fragen, welche Definition er meint und ob diese unter den gegebenen Umständen die relevante ist.
  • Zentral ist der Unterschied zwischen Mark-to-Market und Hold-To-Maturity Bewertung der Banken-Assets. Unter dem Letzteren haben die Banken (oder die Asset-Besitzer) eine gute Chance, zweistellige Renditen zu erwirtschaften (gegeben Liquidität zu niedrigen Zinsen). Unter Mark-to-Market sind die Banken in der Tat insolvent (oder insolvent nach mehr Definitionen). Aber der Markt funktioniert nicht richtig (sprich: die erzielbaren Marktpreise sind auch verzerrt) — er kann jedoch repariert werden.
  • Zum anderen wird die Meinung vertreten, dass die US-Banken sehr wohl imstande sind, durch operative Gewinne innerhalb der vertretbaren Zeit von ca. 5 Jahren wieder “völlig ausreichend kapitalisiert” zu werden. (Deswegen würden sie auch einen Insolvenz-Test hinsichtlich der Fähigkeit, zu operieren und ihre Schulden bedienen zu können, bestehen).
  • Die obere Ansicht ist wahrlich umstritten, vor allem der Punkt, dass die US-Banken operative Gewinne in Regionen von 300 Mrd. USD p.a. erwirtschaften können.
  • Außerdem: Verstaatlichung der Banken wird als das Ergebnis einer schlechten staatlichen Politik in dieser Krise und nicht als Zielsetzung dieser Politik verstanden. Die schlechte bisherige Politik hat aus einer “Krise der leichten Insolvenzen” die “mother-of-all-liquidity-and-solvency crises” gemacht.

Kategorien: Frontpage · Gesamtmarkt

Tags:, , ,

Vor- und zurückblättern (aktuelle Kategorie) ↓

Anzeige ↓


Verwandte Beiträge ↓



3 Kommentare bis jetzt ↓

  • Lesetipps: Earnings Season  • Börsennotizbuch // 24. Jul, 2009

    [...] Fähigkeit, über Gewinn-Akkumulation die Schulden zu bedienen und Eigenkapital aufzubauen, auf die ich in diesem Beitrag hingewiesen habe, scheint eine wichtige Stütze zu sein und den Weg zur – langsamen – Besserung zu [...]

  • Ein Ãœbel, Bilanz machen zu müssen… • Börsennotizbuch // 31. Jul, 2009

    [...] Ein Übel dieser Finanzkrise ist es, dass die Banken auf einmal alle Bilanz machen müssen, denn “Bilanz ist nicht, was sie ist, sondern was gemacht wird”. [...]

  • UBS machte hohen Gewinn im ersten Quartal (1,7 Mrd. Euro) • Börsennotizbuch // 12. Apr, 2010

    [...] Die Einschätzung der Lage bei den Banken ist ganz bestimmt keine leichte Aufgabe. In den Büchern schlummern noch faule Papiere und die Gewinne des Investment Bankings sind nach wie vor eine volatile und recht undurchsichtige Sache. Trotzdem: Es scheint mir, dass wir uns wieder über das Szenario unterhalten werden, welches vor einigen Monaten für skeptische Blicke sorgte, jetzt aber immer denkbarer ist: Die Banken können sich innerhalb vertretbarer Zeiträume durch operative Gewinne rekapitalisieren (ergo sind und waren nicht “pleite”). [...]

Kommentieren: