Vergessen Sie die Konjunktur.
Schon klar, die konjunkturelle Entwicklung ist essenziell für die Lösung oder Entstehung der meisten Problemen (und wenn Sie wollen: für die Aufschiebung, Milderung, Vermeidung etc.). Aber für die Aktienmärkte halte ich im Moment die Zinsen für den Schlüsselfaktor, für die größte Gefahr.
In einer kurzen Meldung verwies ich auf den US-Hypothekenmarkt – er ist wieder einmal unter näherer Beobachtung von den Finanzmedien, Blogger und Analysten. Wahrscheinlich völlig zurecht. Hier aber würde ich mir nicht soviel Sorgen und Gedanken machen, wie, ob und wann sich die Immobilienmarkt-Schwäche auf den Konsum, Wirtschaftstätigkeit etc. auswirken könnte, sondern – viel einfacher – würde wieder auf die Zinsen achten. Die Entwicklung bei den Immobilien und Hypotheken bedroht die Aktienmärkte eher über die Zinsentwicklung als über konjunkturelle Schwierigkeiten.
Wenn ich meiner (Un-)Kenntnis kundtun darf: der US-Immobilienboom ähnlich wie so mancher Boom hat selbst verstärkende Kräfte entwickelt. Die Hypothekenanbieter hatten eine riesige Nachfragewelle zu bedienen, genossen relativ niedrige Finanzierungskonditionen am Anleihemarkt und dank der guten Konjunktur relativ wenig Zahlungsausfälle (auch bei den riskanteren sub-prime Hpotheken). Da alles gut lief, stiegen die Gewinne, die Volumina wurden ausgebaut, die Aktien kletterten. Globalisierung und gute Gewinne sorgten für Liquidität, Bonität und letztendlich für weiterhin vorteilhafte Finanzierungsbedingungen am Anleihemarkt. Der Kreis schließt sich.
Die Börsen – wage ich zu behaupten – werden eine Verlangsamung der Konjunktur gut überstehen können. Was schwieriger sein wird, ist Liquiditätskrise, ergo hohe Zinsen: so verschieben sich nicht nur die Bewertungsmaßstäbe, viele der Investoren könnten auch noch gezwungen werden, aus Aktienpositionen auszusteigen.
Wie der obere Kreis durchbrochen wird, können wir uns nicht schwer ausmalen: die Zahlungsausfälle nehmen zu, die wackeligen Finanzierungskonstrukte kippen zuerst und reißen auch die gesünderen Anbieter mit sich (da Schulden, Kredite, Derivate und alles ziemlich stark verflochten ist). Die Aktien stürzen ab (diverse Beispiele sind brandaktuell), die Bonität wird rapide herabgestuft, und wenn die Kettenreaktion anhält – haben wir schnell einen (Junk-)Bond-Markt-Kollaps.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass in Amerika einiges unternommen wird, um die Hypotheken-Pleite-Kandidaten aufzufangen, so dass es erst gar nicht zu einem credit crunch bzw. (Junk-)Bond-Desaster kommt. Fannie Mae und Freddie Mac (mit dem Backing des Staates und der Fed) werden wohl irgendwann direkt oder indirekt einsteigen, die notleidenden Firmen bzw. deren Hypotheken aufkaufen. Die Aktionäre werden – wie häufig – bezahlen (darunter der wichtigste Quasi-Aktionär von allen – der Staat).
Gibt es ein Problem damit? Geld ist hier kein Problem … es sei denn, wir haben Inflation zu bekämpfen. Sie kennen meine Ansichten hierzu: die Chancen stehen gut, dass die globalen Kräfte und Produktivitätswachstum die Inflation in Schach halten können, so dass wir glimpflich mit einer Konjunkturdelle davon kommen und genügend Geld in das System pumpen können, um eben credit crunches zu vermeiden.
Leider zeigen die neuesten Wirtschaftsdaten trotzdem eine Abnahme der Produktivitätszuwachse in den USA, was ich hier im Gegensatz zum neuen Leser-Kommentar gerade nicht als Grund für eine Zinssenkung sehen würde. Wenn das Produktivitätswachstum abnimmt, nimmt auch die Fähigkeit der Wirtschaft inflationsneutral zu wachsen – also kann sie nicht durch niedrigere Zinsen stimuliert werden. Ich glaube, die Fed ist jetzt entsprechend um die Inflation besorgt und kann die Zinsen nicht so einfach senken. Daher ist es im Moment nicht gesichert, dass sie durch Liquiditätsspritzen entschieden auf Komplikationen reagieren will. Wie sich die Lage entwickelt, erwarte ich mehr oder weniger von den Zins-Charts abzulesen.
8 Kommentare bis jetzt ↓
Saviano // 8. Mrz, 2007
In diesem Sinne schreibt auch David Merkel bei SeekingAlpha (Is the Market Panic Over?):
I have a saying that bubbles only pop when cash flow is insufficient to finance them. Well, the riskiest part of the debt markets, CDO equity, still has willing participants. That indicates that it is not bubble-pop time yet, and that has positive implications for the junk debt and equity markets. Party on!
Gewinne werden privatisiert, Verluste werden verstaatlicht • Börsennotizbuch // 25. Apr, 2007
[...] Boersennotizbuch.de, Augen auf die Zinsen [...]
Ich denke, noch ist zu früh • Börsennotizbuch // 30. Apr, 2007
[...] Der Blick auf die Zinsen werfe ich aber auch etwas häufiger (vgl. Augen auf die Zinsen oder Droht die größte Gefahr für die Finanzmärkte 2007 von den Zinsen?). [...]
Und noch eine Börsen-Unwetterwarnung • Börsennotizbuch // 12. Jul, 2007
[...] Dass sehe ich auch so. Die regelmäßigen Leser werden sich an meine langsam zurückhaltend gewordene Haltung erinnern. Hauptgrund dafür waren die Zinsen (wie z.B. im März geschrieben, oder etwa das frühere Posting vom 25.September 2006). Aber auch an meine unabdingbar optimistische Ausrichtung in mittel- und langfristiger Perspektive (also mit Sicht auf die nächsten 12, besser 24 Monate und länger). [...]
Ken Fisher belibt optimistisch, Zinsspreads signalisieren noch keine Gefahr • Börsennotizbuch // 23. Jul, 2007
[...] Bei seiner Analyse schaut Ken Fisher etwas genauer auf die Zinsspreads (ähnlich wie ich im Beitrag: Augen auf die Zinsen!): Every true credit crisis in history had huge spikes in credit spreads early on and – while not always – usually well before equities implode. By contrast, wrong-headed credit fear babble blows through history like the wind without a ripple in credit spreads. [...]
Zinsspreads, Aktien-Performance - einige Beobachtungen • Börsennotizbuch // 12. Okt, 2007
[...] Augen auf die Zinsen! [...]
Bill Miller - nicht alleine auf die Performance achten • Börsennotizbuch // 5. Dez, 2007
[...] Solange die Zinsen unten bleiben – bleiben auch die Aktien eher ein guter Kauf. Nur auf die Spreads ist zu achten (vgl. Augen auf die Zinsen). [...]
Volkswirtschaftliche Nachfrageschwäche als großes Risiko für die Welt-Konjunktur • Börsennotizbuch // 20. Mai, 2008
[...] In einer ähnlichen Situation habe ich geschrieben: Vergessen Sie die Konjunktur! [...]
Kommentieren: