anzeige

Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
Börsennotizbuch random header image

Spekulationstrieb – ein Artikel im Handelsblatt

5. Dezember, 2006 ·

zeitungFür mich war es etwas überraschend, dass heute im Handelsblatt.de prominent unter den Top-Meldungen des Tages auch dieser Artikel zu lesen ist: Die Spielernatur des Menschen.

Er befasst sich – wie leicht zu erahnen – mit dem gewissen spielerischen, spekulationslustigen Trieb, der uns Menschen offensichtlich innewohnt. Viele Passagen weisen eine große Ähnlichkeit mit den „Konzepten“ von Andre Kostolany und anderen erfahrenen Börsianern aus der Vergangenheit auf.

Der Artikel befasst sich mit grundsätzlichen Phänomenen der Aktienspekulation, ohne dabei konkret auf die aktuelle Situation einzugehen. Ich finde es immer wieder sehr interessant und aufschlussreich, sich an die Exzessen, die Übertreibungen, das Spiel von Gier und Angst zu erinnern. Die Spekulation ist keine neue „Erfindung“, kein Kind der „neuen medialen Welt“ und wird sicherlich durch die neuen Kommunikationstechnologien nicht sonderlich verschärft.

Können wir aber einige Erkenntisse in den aktuellen Kontext übertragen?

Angefangen mit einer Art Definition der Börsenblase:

„Nüchtern betrachtet, entstehen Spekulationsblasen immer dann, wenn Anleger den Preis einer Anlagegattung so stark nach oben treiben, dass er die Gewinnerwartung der dahinter stehenden Unternehmen selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht mehr widerspiegelt“,

formuliert der Autor Ulf Sommer die wesentlichen „Zutaten“ für ihre Entstehung folgendermaßen:

Erstens, ein Wirtschaftsboom. Es reicht aber nicht alleine aus. Wirtschaftswachstum fördert naturgemäß die Zuversicht in den Kräften der Wirtschaft und den Fähigkeiten der Firmen, höhere Gewinne zu erzielen (wir achten auf die Faktoren, die eine übermäßige Bewertung beeinflussen, nicht soviel auf diejenige, die eine höhere Bewertung vorantreiben, aber auch fundamental rechtfertigen). Man kann sagen: haben wir (in der Weltwirtschaft schon seit einigen Jahren).

Zweite Bedingung: wichtige Erfindungen, die das Leben der breiten Masse grundlegend verändern:

Das können Münzen und Tulpen aus dem 17. Jahrhundert sein, Kanäle, Südseefirmen und Kaffee aus dem 18., Ackerland, Bergwerke und Eisenbahnaktien aus dem 19. Jahrhundert oder in der Gegenwart das Internet. Anleger lassen sich eben begeistern.

Kostolany schrieb schon einmal: Begeisterung für die Börse = Begeisterung für den Fortschritt.

Hier kann ich etwa die Web2.0-Geschichten nicht ganz gelten lassen. Noch zu klein. Außerdem unsere Internet-Begeisterung, scheint mir, haben wir erstmal hinter uns. Ich kenne noch viel zu viele Menschen, die mit dem Begriff Web 2.0 gar nichts anzufangen wissen.

Statt Begeisterung für den Fortschritt kann ich eher eine „Fortschrittsangst“ erkennen, die modischerweise auch mit Globalisierungsangst gleichzusetzen wäre und offensichtlich imstande ist, auch Bestseller zu verkaufen (hier der Verweis auf den wunderbaren Artikel im Herdentrieb (Dieter Wermuth) über das neue Buch, das alte Ängste verkauft: „Weltkrieg um Wohlstand” von Gabor Steingart. Ich hoffe, ich werde noch mal darauf kommen können, erstmal aber die Herdentrieb-Leseempfehlung).

Ich kann keine bahnbrechende Technologie ausmachen, die wirklich als „revolutionär“ zu bezeichnen und mit den Beispielen aus der Vergangenheit gleichzusetzen wäre. Hierzu erinnere ich mich: als „revolutionäre“ Erfindung gelte diejenige, die im Großen und Ganzen eine neue Industrie entstehen lässt. Das Internet war und ist eine solche bahnbrechende Entwicklung, allerdings haben wir schon seine Euphorie gesehen. Jetzt ernten wir womöglich die Früchte seiner Reife. Natürlich sprechen wir hier über Dinge, die keiner so gut abschätzen kann. Dennoch, meines Erachtens haben wir keine Begeisterung für eine Technologie oder für den Fortschritt im allgemeinen.

Drittens, der Autor macht eine psychologische Komponente deutlich:

„Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Freund reich werden zu sehen.“ Mit diesem alten Sprichwort stoßen wir zum Kern jeder Spekulationsblase. Denn Neid, Missgunst und der Zwang zum Mitmachen treiben die Kurse jedes Mal in die Höhe. Jeder glaubt, schnell genug zu sein, um wieder auszusteigen. Und tatsächlich gelingt das auch vielen. Dies ist ein wichtiger Grund dafür, warum immer wieder Blasen entstehen.

Haben Sie Freunde, die bereits prahlen, große Geschäfte and der Börse gemacht zu haben? 2000 kannte ich mehrere. Heute – nicht. Klar, hier bin ich in die Subjektivität notgedrungen.

Und, viertens, was im Artikel eigentlich zu kurz kommt: Die Börsenblasen werden von Liquidität genährt und platzen in aller Regel aus Liquiditätsmangel. Noch keine Anzeichen für das letztere, oder?

Und bei allem Gerede über Blasen: die Bewertungen der Unternehmen sind ausgesprochen niedrig (am deutlichsten vielleicht in Europa), sie liegen deutlich unter den Bewertungen für Anleihen, implizieren also einen Risikoabschlag für die Aktienkurse.

Alles in allem finde ich es beruhigend, über die Unvernuft an den Börsen zu reden.

Kategorien: Analysen · Frontpage · Gesamtmarkt · Sentiment

Tags:, , , , , , , , , , , , ,

Vor- und zurückblättern (aktuelle Kategorie) ↓

Anzeige ↓


Verwandte Beiträge ↓



Keine Kommentare bis jetzt ↓

  • Noch hat keiner kommentiert - machen Sie den Anfang!

Kommentieren: