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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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Sind die Börsen wirklich Leading Indicators?

19. April, 2008 · 1 Kommentar

Ja, es wird sehr häufig behauptet, dass die Aktienmärkte eine “vorausschauende” Funktion bzw. Verlauf haben. Man sagt ja nicht ohne Grund “Die Börse handelt die Zukunft”. Und die “kollektive Intelligenz” von vielen Tausenden Investoren und von Milliarden Euro und Dollars hat sich in der Tat häufig als richtig guter Leading Indikator erwiesen.

Barry Ritholtz sieht die Sache differenzierter, was an der Börse immer ein guter Rat ist:

Everyone knows that markets are leading — not lagging — indicators.

But are they really? It always gets stated so unequivocally that price contains information — and I do not disagree with that belief.

However, I am not sure it contains the specific information that is claimed by many. Indeed, short term market action is often used to bolster arguments in a terribly one-sided fashion. When it goes this way, it is significant and meaningful; When it goes that wa, well, not so much.

So are markets truly leading indicators?

I have a different theory, and it goes something like this: There are so many varied inputs into equity markets — sentiment, trend, liquidity, momentum, valution — anyone of them can be dominant at any time. Merely assuming markets are giving you a 6 month heads up into the future, based on recent action is often unwarranted. There are simply too many examples where market prices are shown to be, oh, let’s be generous and call it subject to misinterpretation.

Anhand einiger Beispiele schildert er diese Diskrepanz zwischen Marktreaktionen und den tatsächlich folgenden Ereignissen. Natürlich (Barry ist seit langem einer der prominentesten Skeptiker/Bears in den Medien) sieht er die aktuellen Rallies als falsche Signale.

Irgendwann habe ich die Prediction Markets erwähnt, die eigentlich keine so gute “Prediction”-Funktion haben, sondern eine unglaublich schnelle Reaktion, die aktuellen (vergangenen) Informationen einzupreisen.


Ich glaube, an der Börse ist Einiges ähnlich. Der Schlüssel liegt wahrscheinlich weniger in der “Verarbeitung der Information” (ich halte wenig von “Effizienten Märkten” in diesem Sinne), sondern eher in der “reflexiven” Funktion der Börse auf die Zukunft (um die Begrifflichkeiten von George Soros zu benutzen). Sprich: Die Informationen und die ganze Reihe von anderen Einflussfaktoren wie Liquidität, Sentiment, Bewertung etc. werden mal gut mal weniger gut eingepreist bzw. stellen eine mal gute, mal weniger gute Zukunftsprognose dar. Hier hilft die “kollektive Intelligenz” genauso viel wie sie stört.

Aber wenn die Kursentwicklung die Marktbedingungen, die Wirtschaftsaktivität, die Bewertungen und das Sentiment (von Investoren und Verbrauchern) an sich – positiv wie negativ – beeinflussen kann, dann greift eine zusätzliche Kraft, die im Sinne einer “selbsterfüllenden Prophezeiung” den Gang der Zukunft faktisch mitbestimmt und daher auch richtig prognostizieren kann.

Die aktuellen Rallies, die “erstaunlicherweise” auf an sich negative Nachrichten wie die abermaligen Milliardenabschreibungen der Banken erfolgten, zeugen von einem “überverkauften” Markt und sehr wahrscheinlich von Short-Covering (Eindeckung von Shortpositionen). Dies sind vor allem technische Reaktionen. Natürlich können sie auch einen Boden bedeuten und werden irgendwann einen Boden bedeuten. Noch sollte man sie aber (als vorsichtiger Anleger) als solche technische Ausschläge betrachten. Ich würde sie auf jeden Fall nicht als Indikator für eine “sorglose Stimmung” deuten, die “statisch” geblieben sei und die “dynamischen Aspekte der Kreditkrise ausklammert” (wie im FTD zu lesen ist):

Der Markt bleibt in seinem Denken völlig statisch, die Dynamik des laufenden Anpassungsprozesses wird schlichtweg ignoriert. Nachdem die Banken ein paar Wertberichtigungen vorgenommen und die Risikovorsorge erhöht haben, geht alles so weiter wie gehabt. Die Banken überbrücken mit Vergnügen die Finanzierungslücke des US-Privatsektors von vier Prozent des BIPs, obwohl die Kreditausfälle bei Firmen und Verbrauchern angesichts der aus der ungleichen Verteilung der Rekordschulden folgenden “Ãœber”schuldung unzähliger Darlehensnehmer allenthalben steigen (hinzu kommt lauf IWF ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von 4,5 Prozent des BIPs 2008).

Die Firmen investieren trotz fallender Gewinne munter weiter, die Verbraucher kümmern sich nicht um Entlassungen und Realeinkommensverluste und bereiten sich schon auf die nächste Sause vor. Dann spricht auch nichts mehr dagegen, dass Konjunktur und Kapitalmärkte sich bald erholen – und die Banken an ihre ungeahnten Erfolge der ersten 2000er-Jahre anknüpfen. So jedenfalls scheint man allen Ernstes zu glauben.

Anders ist die sehr positive Marktreaktion auf die Quartalszahlen von JP Morgan kaum zu erklären.

FTD.de, In einer statischen Welt

Doch, die positive Marktreaktion ist auch anders zu erklären. Wie oben erwähnt: Die Spekulanten haben sich massenweise auf die Short-Seite positioniert, denn die Schwäche der Banken ist jetzt wirklich kein Geheimtipp mehr und die Trader konnten vor den Quartalsergebnissen mit negativen Ãœberraschungen rechnen. Als selbst schlechte Zahlen kamen, war das ein Signal, die Positionen zu schließen — hier ist die Tagesrally.

Da technische Faktoren dominant im Spiel sind, würde ich auch die Prognosequalität der Aktienmärkte im Moment in Frage stellen. Im Sinne der “Reflexivität” (die etwas mehr Sicherheit bei der Deutung der zukünftigen Richtung verleihen kann) würde ich eigentlich weniger auf die Aktienmärkte, sondern eher auf die Entwicklungen am Geldmarkt, bei den Zinsspreads etc. schauen, und dort auf eine deutlichere Entspannung warten. Denn die Entspannung hier wird auch eine Reihe von fundamentalen Faktoren faktisch und positiv beeinflussen. Die Banken, unsere Sorgenkinder, werden dann ganz sicher aufatmen.

Kategorien: Frontpage · Gesamtmarkt

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