Heute stand sie wieder ganz fett in den Schlagzeilen der Magazine: Die Inflation.
Es führt, scheint es, kein Weg an ihr vorbei, also will ich dem Thema wieder einmal ein paar Zeilen widmen.
Als erstes natürlich die heutigen Zahlen zur Inflation in Europa, veröffentlicht durch die Europäische Statistikbehörde Eurostat. Die Inflationsrate in der Eurozone ist der Vorabschätzung auf 4,0% zum Vorjahresmonat gestiegen, im Mai betrug die Teuerungsrate noch 3,7%, die Volkswirte haben für Juni mit 3,9% gerechnet (also so überraschend ist die Zahl nicht — an sich kein Wunder, da die Inflation hauptsächlich durch die Energiepreise getragen wird, welche vor allen Augen gestiegen sind).
Mit 4 Prozent liegt die Inflation (schon lange) eindeutig zu hoch für die EZB, die am Donnerstag voraussichtlich mit einer Zinserhöhung reagieren wird (erwartet werden 25 BP auf 4,25%). 4 Prozent sind ja glatt das Doppelte der anvisierten Teuerungsrate von “nahe, aber unter 2 Prozent” — der erwartete Schritt der EZB kann also nachvollzogen werden (obwohl wir damit eine schärfere Konjunkturabkühlung riskieren — vgl. Kritik zum Inflationsziel der EZB).
In diesem Kontext erreicht uns auch die (abermalige) “Krisenmeldung” der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) , die in ihrem neuesten Bericht sehr eindringlich vor Konjunkturgefahren warnt, trotzdem aber hohe Zinsen als Waffe gegen die Inflation begrüßt:
Nach mehreren Jahren kräftigen Wachstums der Weltwirtschaft, niedriger Inflation und stabiler Finanzmärkte verschlechterte sich die Lage im Berichtszeitraum rasant. Besonders bemerkenswert war das Auftreten der Turbulenzen am US-Markt für Subprime-Hypotheken: Sie griffen sehr rasch auf viele andere Finanzmärkte über und weckten schließlich Zweifel an der Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung einiger großer US und europäischer Banken. Gleichzeitig verlangsamte sich das Wachstum in den USA infolge von Rückschlägen am Wohnimmobilienmarkt deutlich, und die Inflation stieg weltweit beträchtlich an, insbesondere unter dem Einfluss höherer Rohstoffpreise.
Der Grund für diesen abrupten Wandel der finanziellen Rahmenbedingungen waren einigen Kommentatoren zufolge Schwächen in der Art und Weise, wie das seit Langem gängige Originate-to-distribute-Modell – die Verbriefung und Veräußerung von Bankkrediten – in den letzten Jahren auf neuartige Hypothekenprodukte angewandt wurde. Andere merkten hingegen an, dass die abrupte Verschlechterung sowohl der finanziellen als auch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mehr der typischen Korrekturbewegung nach einem Kreditboom ähnelte. Mehrere Faktoren scheinen diese zweite Hypothese zu stützen: das vorherige rasche Wachstum der Geldmengen und Kreditaggregate weltweit, eine längere Phase niedriger realer Zinssätze, ungewöhnlich hohe Preise zahlreicher Vermögenswerte (sowohl Finanz als auch Sachwerte) sowie die Art und Weise, wie das Ausgabenverhalten in verschiedenen Ländern (insbesondere in den USA und China) das jeweilige Stadium ihrer finanziellen Entwicklung widerspiegelte (und den Verbrauch bzw. die Investitionen ankurbelte).
Zwar ergriffen die Zentralbanken aller wichtigen Finanzplätze Maßnahmen, um die Finanzmärkte wieder liquide zu machen, erhebliche Unterschiede bestanden jedoch – angesichts der binnenwirtschaftlichen Lage – bei der Festlegung der Leitzinssätze. Für einige Zentralbanken war die tatsächliche Teuerung der größere Anlass zur Sorge, und sie hoben die Leitzinssätze an; andere hingegen senkten sie, weil sie dem Disinflationsdruck, der bei einer Wachstumsabschwächung wohl eintreten würde, mehr Gewicht beimaßen.
BIZ 78. Jahresbericht, I. Einleitung: Das Ende einer unhaltbaren Situation
Zum BIZ-Bericht gelangt man hier (für die nicht so lesehungrigen gibt es handliche Abstarkte).
Hier geht’s zur Pressemeldung (auch auf Deutsch).
Hier berichtet die FTD.
Ãœbersicht der Inflationsraten in vielen Ländern der Welt — bei der Faz.
Die hohe Inflation (ich erwähnte bereits, dass diese Zahlen erwartet wurden) macht sich — mit einiger Verspätung, meinen einige Beobachter — auch an der Börse deutlich bemerkbar. Die Zinsen sind generell am steigen (worüber ich auch im Betrag “Im Zeichen der Inflation” geschrieben habe).
Ein Blick auf die Umlaufrendite in 2 Einstellungen: 1-Jahreschart und 10-Jahreschart (Quelle: Onvista.de; Klick für größer):
Der Zinsanstieg (hier anhand der Umlaufrendite) ist schon substanziell — er erreichte wieder die Niveaus von vor einem Jahr, als die Hypothekenkrise (final) ausbrach. Auch längerfristig betrachtet sind die Renditen der Festverzinslichen “gut unterwegs”, allerdings noch nicht so hoch wie in den Wirtschafts- und Börsenboomjahren 1999 und 2000.
Trotzdem (habe ich bereits mehrmals erwähnt) kann diese Entwicklung (aus Aktiensicht) beunruhigen. Zwar erscheinen die Dividendentitel durchaus fair bewertet, im Verhältnis zu den Festverzinslichen stehen sie nach wie vor gut da, sie mögen auch als (Halb-)Sachwerte sogar einen besseren Inflationsschutz bieten, aber hier kommt dieses “Halb” zum Tragen: Die nominellen Zinsen üben unweigerlich Druck aus — vor allem im Kontext einer zu erwartenden Konjunkturabkühlung (auch wegen der Zinsen) und langfristiger Inflationserwartungen (den Notenbanken wird immer noch zugetraut, die Inflation in Griff zu bekommen).
Doch bevor wieder die 70er-Vergleiche herangeführt werden — eine “Konterattacke”: Inflated fears of a 1970s comeback (Guardian), zu deutsch: Inflationierte Angst vor Stagflation (eigentlich: vor Comeback der 70er).
Der Kern der Sache: Die Löhne sind der entscheidende Inflationstreiber. Nicht die Energiekosten. Für eine dauerhaft hohe Inflation (über der “Komfortzone” der Notenbanken), bedarf es (ebenso dauerhaften und ebenso deutlichen) Anstieg der Löhne. Das war nämlich die Situation in den 70er. Ist heute so etwas möglich? Ich und die Autoren von Guardian (auf die ich hier verweise) meinen — nein, kaum, ohne weiteres nicht!
Die Löhne wachsen real so gut wie nicht — nicht in den USA und nicht in der Eurozone. Beide Arbeitsmärkte sind auch nicht mehr in Boom-Verfassung — in den USA sehen wir spürbare Verschlechterung, in Europa ist die gute Zeit, zumindest den Frühindikatoren zufolge, vorerst “on hold”. Vielleicht ist es nicht ganz abwegig zu meinen, dass die Inflation und vor allem eine mögliche Inflationsspirale überschätzt werden.
Ähnliches lese ich jetzt auch bei Dieter Wermuth, der in seinem neuen Investment Outlook schreibt:
Whether euro bond yields will rise further is not clear. Investors may look beyond the present inflation scare and argue that because of record high oil prices the likelihood of a significant moderation of demand has increased a lot, including a global moderation. Wage inflation in the euro area has accelerated somewhat, but labor remains so weak that the risk of a new wage/price spiral is close to zero. I would guess that euro bond yields are close to their peak.
Dieter Wermuths Outlook enthält übrigens wie immer sehr wertvolle Worte zur Wirtschafts-, Finanz- und Börsenlage…
Bis bald…
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