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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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Demographische Auswirkungen auf die Börse?

16. Mai, 2006 · 2 Kommentare

Ich will die Aussage bezüglich der Einsturzgefahr für die Aktien durch die demographische Entwicklung kommentieren.

In der Tat hört man oft, dass durch die Alterung im reichen Westen, die Aktien einen großen Verkaufsdruck ausgesetzt werden können, da die “Alten” ihre Bestände veräußern werden, um etwa ihren Lebensstandard zu finanzieren. Mit der allgemeinen Alterung entfielen auch mehr und mehr die langfristigen Fonds- und Aktienkäufer und an ihre Stelle kommen die Sicherheit vorziehenden Rentner., die ihr Geld eher in Festverzinslichen halten werden.

Ich halte dies alles für Quatsch und eine weitere Mode-Erscheinung, nach einem Katastrophen-Szenario zu suchen (Stichwort Methusalem-Komplott).

Erstens, das mit der rapiden Alterung ist zum Teil statistische Illusion: denn man beachtet am stärksten die Kennzahl Lebenserwartung bei der Geburt. Diese ist natürlich deutlich und stetig in den letzten Jahren/Jahrzehnten gestiegen. Was die meisten aber nicht genau wissen, ist, dass sie ausschließlich durch die Senkung der Kindersterblichkeit zustande gekommen ist. Die Lebenserwartung eines 50jährigen ist nur um – soweit ich mich nicht irre – 2-3 Jahre höher gegenüber Mitte-Anfang des Jahrhunderts. Ähnlich wie die Lebenserwartung eines 50jährigen Westeuropäers eigentlich unwesentlich höher ist als die eines 50jährigen Menschen aus einem Entwicklungsland.

Natürlich hat die bessere medizinische Versorgung und Lebensqualität ihre Auswirkung, aber im Durchschnitt handelt es sich auf diesem Vergleichsniveau um nur einige wenige Jahre, die finanz- und anlagetechnisch kaum (wahrscheinlich überhaupt nicht) ins Gewicht fallen. Die größten Fortschritte (und Unterschiede zu den Entwicklungsländern) sind bei der Lebenserwartung bei der Geburt, bei den kleinen Kindern – bei uns bleiben einfach viel, viel mehr Neugeborene und Kleinkinder am Leben.

Zweitens, wenn wir auf diese Weise die Börse betrachten, handelt es sich zwangsweise um etwas längere Zeitperioden. Und in langer Sicht orientieren sich die Aktien zum einen an die Gewinnentwicklung und zum anderen (was sehr stark mit dem ersten zusammenhängt) an das langfristige Angebot-Nachfrage-Verhältnis.

Das letzte will ich kurz erläutern: natürlich sind Aktienkurse Produkt alleine von Angebot und Nachfrage in jedem einzelnen Moment – kurz- wie langfristig. Aber die Änderungen im Angebot und Nachfrage über die Zeit haben etwas unterschiedliche „Geschwindigkeiten“.

Auf kurzer Sicht ist das Angebot (oder eher die zur Verfügung/zum Traden stehenden Aktien) ziemlich „steif“, unelastisch. Kurzfristig ist eher die Nachfrage entscheidend für die Preisbildung (dieser Gedankengang habe ich von Ken Fisher, und ich teile ihn weitgehend). Langfristig aber kann sich auch das Angebot an Aktien gewaltig ändern und dies hängt von der Kursentwicklung, Geschäftsentwicklung/Rentabilität und auch von den Finanzierungskosten ab. Sollte sich eine Branche oder eine bestimmte Anlageklasse über längerer Zeit deutlich besser entwickeln als der Rest (z.B. weil die Unternehmen dort besonders gut verdienen und wachsen), eilen Hunderte von Investmentbanker die Aktien dieser Gesellschaften zu emmitieren, neue Gesellschaften und Konkurrenten kommen dazu (und für gewöhnlich bieten sie ihre neuen Aktien an der Börse an) etc. Insbesondere wenn die Rentabilität (plus Aussichten) über den Finanzierungskosten auf dem Kapitalmarkt liegen, gibt es einen großen Kapitalandrang in diese Anlageklassen, was mit immer mehr Papieren bedient werden will. Und in der Regel wird bedient, bis die Performance sich dem allgemeinen Niveau anpasst (womöglich nach stärkeren Rückschlägen).

Und wie wird sich die Demographie auf das langfristige Angebot auswirken? Im Zweifel, gar nicht. Hier sind wir wieder bei der Gewinn- und Geschäftsentwicklung (und ich vermute, ich konnte den Umweg sparen, fand aber die Gedanken interessant) – werfen die Aktien eine vernünftige Rendite ab, werden sie Nachfrage finden. Geld wird immer verfügbar sein, auch oder vor allem auf Kredit, also sind die Zinsen niedrig (mit dem Argument der Methusalem-Komplotter, dass die Alten Festverzinsliche vorziehen würden), werden sich Aktieninvestments um so mehr lohnen.

Ganz zu schweigen davon, dass es überhaupt nicht sicher ist, ob die reichen Rentner ihre Spekulationslust verlieren würden, die Aktienpakete doch nicht vererben lassen wollen und und und…

Mit einem Wort, ich denke, man soll sich nicht mit skurrilen pseudo-wissenschaftlichen Szenarien (die voller Halbwahrheiten sind) zu lange befassen. Viele (Deutsche) haben anscheinend ein „Angst-Bedürfnis“, das allerseits bedient wird.

Mein Rat wäre: Handeln Sie (an der Börse) nicht aus Angst, sondern aus Mut und Fantasie. Wo auch immer und für was auch immer sie solche finden. Mit etwas „Fantasie“ auch für Short-Spekulationen anwendbar. Aber lieber keine Angst-Investments.

Kategorien: Analysen · Gesamtmarkt · Prognosen

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2 Kommentare bis jetzt ↓

  • Nico Popp // 17. Mai, 2006

    Ich halte dies ebenfalls für Quatsch. Gerade in Deutschland und unter Senioren wird doch mehr gespart als sonstwo auf der Welt. Verkonsumiert im Sinne von alltäglichem Konsum werden die Geldanlagen wohl kaum. Die werden in meinen Augen eher ins Häuschen gesteckt (Das Handwerk freut sich), ins Auto gesteckt (Absatzzahlen für die C-Klasse steigen) und der Rest vererbt.

    Zudem werden ja nicht alle Menschen auf einen Schlag alt und verkaufen alle ihre Aktien. Das Geld wird möglichweise umgeschichtet (private Rentenanbieter freuen sich), kommt dem Binnenmarkt zu Gute (siehe C-Klasse) oder wird sonstwie investiert.

    Grundsätzlich ist es doch toll wenn Geld den Besitzer wechselt. Wechselt das Geld von Sparbüchern zur Wirtschaft ist das doch das beste was uns passieren kann!

  • Babyboomer und der Abschied vom Erwerbsleben • Börsennotizbuch // 24. Jul, 2007

    [...] Die Demographie ist stets ein Thema. Hier wird ein schlimmes Szenario für die Börse gezeichnet, dort für die Arbeitsmärkte. Immer wieder. Die Menschen brauche Ängste. Gegen die Argument für das erste habe ich schon mal geschrieben. Was ist mit dem Arbeitsmarkt? Da scheinen die Babyboomer (in Deutschland wird so eine etwas spätere Generation bezeichnet als in den USA) langsam die Spätphase des Arbeitslebens. Die NachdenkSeiten denken laut nach. Zunächst die Ausgangslage (untermauert durch eine Studie (oh-oh! Mit Studien verspekuliert man sich am leichtesten): Babyboomern droht schwieriger Abschied aus dem Erwerbsleben Deutlich mehr Menschen kommen im nächsten Jahrzehnt in die Spätphase des Erwerbslebens. Das droht die Probleme Älterer am Arbeitsmarkt zu verschärfen – denn die Berufschancen der 55- bis 64-Jährigen stehen schon jetzt in vielen Regionen und Branchen nicht gut. Mit einem demografisch bedingten Fachkräftemangel ist in Deutschland in den nächsten 20 Jahren nicht zu rechnen. Doch die Arbeitskräfte werden älter – es gibt künftig deutlich mehr 55- bis 64-Jährige, prognostizieren Forscher des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (INIFES). “Für die regionale Arbeitsmarktpolitik wird dies auf Jahrzehnte hinaus die entscheidende demografische Herausforderung sein”, schreiben Professor Ernst Kistler, Andreas Ebert und Falko Trischler. Denn die Chancen, bis zur Rente im Beruf bleiben zu können, stehen je nach Region und Branche schon heute oft nicht gut – und könnten sich bei zunehmender Konkurrenz und einem höheren gesetzlichen Rentenalter noch verschlechtern. Die Wissenschaftler haben umfassende Daten zu Demografie, Arbeitsmarkt und Rentengeschehen in den Regionen zusammengestellt. Ihr Projekt “Smart Region” wurde von der EU-Kommission und der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und liefert Informationen für die lokale Arbeitsmarktpolitik. [...]

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