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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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Bernanke zur Lage der Wirtschaft

19. Februar, 2006 · 2 Kommentare

Na gut, die Rede von dem neuen Fed-Chef Ben Bernanke ist schon einige Tage alt…

Aber häufig scheint es mir, dass die Börsianer (die „aktiven“ sowie die „passiven“) viel zu sehr dem – wie ich meine – Irrglauben verfallen, an den Finanzmärkten laufe alles in rasender Geschwindigkeit ab. Es zähle die Sekunde und derjenige habe den entscheidenden Vorsprung, der zuerst vom News-Ticker (oder noch besser aus Insider-Quellen im Voraus) die Nachrichten erfährt und schnell zu handeln weiß…

Keine Frage – unerwartete und wichtige Nachrichten können den Markt durchaus beeinflussen, doch in der Regel, wage ich zu behaupten, ist die Börse kein „Geschwindigkeitssport“. Die Entwicklungen entfalten sich sogar eher gemächlich und, sollten Sie nicht gerade einen Crash wie 1987 erleben, haben Sie schon genügend Zeit vorteilhafte Positionen zu eröffnen oder zu schließen.

Man denke z.B. an die Anfangszeit der 2000er Baisse: wie viele Monate lang konnte man die (im Nachhinein ist leicht reden) völlig überteuerten New-Economy-Aktien zu sehr hohen Preisen abstoßen? Und nach 2003 brauchte man nicht die Reaktionen eines Kung-Fu-Meisters, um rechtzeitig in den Markt einzusteigen…

Soviel zu „Ständig-Super-Up-to-Date“….

Aber nun – Ben Bernanke hat vor dem US-Kongress zur Lage der Wirtschaft gesprochen. Was hat er genau gesagt? – Das hier:

Testimony of Chairman Ben S. Bernanke

Beim Durchlesen habe ich etwas überrascht selber feststellen müssen, dass ich zum Beispiel die Katrina-Katastrophe in New Orleans (und Umgebung) vom Ende August völlig vergessen habe. Die verlorenen Menschenleben, der Ausmaß der Zerstörung, die Raffinerie-Kapazitäten, die Reaktion des Öl-Preises, die großen Ängste von damals etc. etc – vergessen!

Damals war ich schon recht zuversichtlich, dass die Wirtschaft die Belastung gut vertragen würde, dennoch erwartete ich tendenziell steigende Zinsen am langen Ende (finanzielle Belastung für den US-Haushalt und die Unternehmen und entsprechende Kreditaufnahme / Anleihenemittierung). Aber die langfristigen Zinsen sind praktisch unverändert geblieben. Laut Bernanke hat sich die Zerstörung sehr wohl auf die Wirtschaft ausgewirkt, sodass im 4. Quartal ein deutlich schwächeres Wachstum von (aktuelle Lesung) 1,1% ausgewiesen wurde. Die Börsen zeigten sich unbeeindruckt. Wirtschaftswachstum und Aktienpreise sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Die größten negativen Effekte von Katrina sollten schon vorbei sein.

Jetzt will ich nicht die ganze Rede im Detail kommentieren, zumal sie eine recht deutliche Sprache spricht und im Grunde genommen eine bekannte Position verfestigt – Bernanke zeichnet einen optimistischen Ausblick für die amerikanische Wirtschaft für die nächsten 2 Jahre, vergisst aber nicht auf die potenziellen Gefahren deutlich hinzuweisen.

Drei Punkte halte ich dennoch für erwähnenswert.

Erstens:

Another factor bearing on the inflation outlook is that the economy now appears to be operating at a relatively high level of resource utilization.

In der Tat hat sich die US-Wirtschaft von einer recht scharfen Abnahme der Kapazitätsauslastung in den letzten Jahren erholt. Die stark gestiegenen Gewinne der Unternehmen sowie das Wirtschaftwachstum ohne Inflation sind zu einem wesentlichen Teil auch dadurch entstanden. Dennoch ein Blick auf die entsprechende Graphik zeigt mir, dass die Kapazitätsauslastung noch unter dem Durchschnittsniveau der 90er Jahre liegt. Die dämpfenden Effekte auf die Inflation dürften abgenommen haben, ausgeschöpft sind sie noch nicht.

Zweitens:

…in recent years, an excess of desired global saving over the quantity of global investment opportunities that pay historically normal returns has forced down the real interest rate prevailing in global capital markets.

Bernanke hat auch vorher die Hypothese geäußert, dass die niedrigen (langfristigen) Zinsen ein Produkt des globalen exzessiven Sparvolumens sind. Hier wird eine interessante Nuance addiert: es gäbe nicht genug „investment opportunities“.

Wie ich früher in „Euphorie und Enttäuschung“ geschrieben habe, lassen sich die Unternehmen auf keine „Abenteuer“ im großen Stil ein. Ich habe das Gefühl, dass man einfach keine großen Chancen sieht, keine begeisternde Storys findet; der Business ist recht langweilig zurzeit…

Dies ist eine ambivalente Geschichte für die Börsen: auf der einen Seite, wie gesagt, gewinnt die Entwicklung (Wirtschaftlichkeit der Unternehmen, Kalkulierbarkeit etc.) an Stabilität. Andererseits dient die Börse im Prinzip der Allokation von finanziellen Ressourcen in die Richtung der „großen Erwartungen“ (Gruß an Charles Dickens!). In diesem Zusammenhang möchte ich (für wievielten Male?) Kostolany mit seiner bildlichen Beschreibungen zitieren:

Es ist an der Börse ähnlich wie beim Markt für gebrauchte Autos. Wenn die großen Autofirmen immer neue und attraktivere Modelle herausbringen, die Autoagenten besonders aktiv sind und ihren Kunden sogar Preiskonzessionen machen oder gewisses Zubehör gratis mitliefern, dann sinkt der Preis für Gebrauchtwagen. Wenn dagegen die Lieferzeit für neue Autos mehrere Wochen oder Monate beträgt, wenn außerdem die neuen Modelle wenig attraktiv erscheinen und auch von Preiskonzessionen keine Rede sein kann, dann wird der Markt der gebrauchten Autos aktiv, und die Preise gehen in die Höhe.

An der Börse notierte Aktien sind die gebrauchten Autos des Kapitalmarktes. Wenn der Markt mit neuen interessanten Wertpapieren (zum Beispiel Wandelanleihen) überschwemmt wird, ist ein Kurssturz der schon an der Börse notierenden Aktien unvermeidlich. Wenn aber die neuen Anlageemissionen bei fallendem Zinssatz immer seltener werden, fließen die überflüssigen Gelder zur Börse, das heißt zum Markt der „gebrauchten Autos“ zurück.

Aus: Kostolany’s “Geld und Börse”

Kostolany spricht von Wertpapieren, aber, wenn ich die Ãœberlegungen einen Schritt (in der Zeit zurück) drehen darf, werden die Emittenten dann und dort besonders mit „neuen und interessanten Wertpapieren“ aktiv, wenn besondere Gewinnaussichten, bereits gelaufene Performance, Kapitalbedarf, mit einem Wort Opportunities, klar erkennbar sind. Dann und dort entstehen auch neue Gesellschaften, werden Investitionen getätigt, (normalerweise) hohe Margen erzielt etc. So erfüllt die Börse ihre Allokationsfunktion und leitet Geld zum Kapitalbedarf weiter. Nur dass in einem Moment die Papiere zu viel werden…

Aktuell könnte so etwas wohl im Energiesektor am Laufen sein – es häufen sich die Zertifikate, die Fonds und nicht zuletzt die Unternehmen, die irgendwas und irgendwie mit Energie zu tun haben (wollen). Nach meiner bescheidenen Meinung sind die Ausmaße nicht sonderlich groß, vielleicht ist noch einiges gerechtfertigt, aber dieses Spiel möchte ich lieber nicht spielen…

Aber im globalen Kontext der Kapitalmärkte sind offensichtlich die wahrgenommenen Chancen eher dürftig. Diese fehlenden interessanten Investitionsmöglichkeiten lassen einerseits Gelder zu den „Gebrauchtwagen-Aktien“ fließen (denn wohin sonst?), andererseits können sie die Anleger nicht wirklich begeistern, damit sie auf ihren festen Zinssatz zugunsten „Gewinnbeteiligung“ verzichten. Und so schaukeln wir uns hin und her und leicht nach oben in dem Leitmarkt USA (der größten Börse, die großen Kapitalstrom braucht, um sich zu bewegen).

Und drittens:

…the attainment of the statutory goal of moderate long-term interest rates requires price stability, because only then are the inflation premiums that investors demand for holding long-term instruments kept to a minimum.

Die Fed weiß sehr wohl von der Wichtigkeit, die Inflation moderat zu halten, und wird dieses Ziel verfolgen. Gleichzeitig beobachten wir, dass die „Unsicherheitsprämie“, lange Anleihen zu halten, tatsächlich auf ein Minimum (und vielleicht sogar mehr als das) gesunken ist. Ich finde, dies ist eine gute „Neuigkeit“ (nun, neu ist es eigentlich nicht) für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Denn die Produktivitätskräfte und -potenzial dürften in historischem Vergleich nicht abgenommen haben, aber die realen „Finanzierungskosten“ sind durch die implizierte Geldwertstabilität gesunken.

Ich würde daher für eine Zeit lang erwarten, dass uns die erhöhte Rentabilität der Unternehmen erhalten bleibt. Bis die Marktteilnehmer es dann endlich bemerken und die Prämie „umkehren“.

***

Dieser Post ist doch etwas länger geworden – den Geduldigen, die ihn zu Ende gelesen haben, einen herzlichen Dank….

Kategorien: Analysen · Gesamtmarkt · Wirtschaftsdaten · Zinsen

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