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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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Aktien-Kommentar: Wird es denn “Heller” am Börsen-Horizont?

8. Juli, 2008 · 6 Kommentare

Die allgemeine Börsenlage erscheint nicht unkompliziert. Und bevor ich wieder meine Börsen-Beobachtungen und Beiträge zu aktuellen Ereignissen und Nachrichten fortsetze, wollte ich den neuesten Artikel von Gottfried Heller bei Welt.de sowie die (eingehende) Kritik des Artikels von Weisgarnix.de als Vorlage nehmen, um kurz die “Großwetterlage” zu besprechen.

Das zweite Börsenhalbjahr, scheibt Gottfried Heller, wird besser sein als das erste. Angesichts der recht desolaten Performance der internationalen Aktienindizes ist dies jedoch keine richtige Beruhigung. Auch Weissgarnix merkt – voller Ironie – an, dass selbst ein Minus von 15 Prozent beim Dax eine “relative Verbesserung” darstellen würde… Dies meint Heller aber bestimmt nicht so. Um es ganz klar zu sagen: Heller stellt eine optimistische Prognose auf und findet die aktuellen Kurse (also auch die Aussichten für die Aktien) ab diesem Niveau eindeutig attraktiv. Wie es bereits durchschimmerte, sieht es Thomas Strobl von Weissgarnix.de ziemlich komplett anders.


Die Argumentation von Gottfried Heller könnte ich in folgende Punkte zusammenfassen:

  • Der große Schaden der Finanzkrise konnte durch das beherzte und rechtzeitige Eingreifen der Notenbanken abgewendet werden — die “Feuerwehr” hat ihre Aufgabe erfüllt, die Banken und das Finanzsystem als Ganzes stehen zwar noch unter Schock, machen sich jedoch bereits an die Aufräumarbeiten. Mit einem Wort: Großer Schrecken, aber die Deiche hielten; das Schlimmste ist hier hinter uns.
  • Die Rezession in den USA wird (wahrscheinlich) auch ausbleiben — dafür sollen niedrige Zinsen, Konjunkturhilfspakete der Regierung, schwacher Dollar und nicht zuletzt eine weiterhin gut wachsende Weltwirtschaft sorgen.
  • Die besagte Weltwirtschaft wird sich aller Voraussicht nach verlangsamen, aber ein ansehnliches Wachstumstempo halten können. Die Abkühlung sollte aber für etwas (oder sogar für eine deutliche) Entspannung an den Rohstoffmärkten führen. Letzteres, versteht sich, wären sehr gute Nachrichten für die Dividendentitel…
  • Das Börsensentiment ist auf “tiefsten Tiefs” angekommen, ein ausgeprägter Pessimismus greift um sich, was jedoch nicht der Nährboden einer (signifikanten) Baisse ist — “Eine Baisse gibt es, wenn Euphorie herrscht und die Aktien überbewertet sind”. Aktuell ist keins davon der Fall — es herrsche Pessimismus und die Bewertungen (Heller führt ein Dax-KGV von ca. 10 an) seien niedrig.
  • Die institutionellen Anleger sind massiv untergewichtet in Aktien. Liquidität ist aber üppig vorhanden, insbesondere in den millardenschweren Staatsfonds der ölexportierenden Länder, China und anderer asiatischer Staaten. Die Anlagealternativen (und nicht nur für diese Investoren) seien “dünn gesät”, es gäbe kaum eine attraktivere Option als die “gute, alte, konservative Anlagestrategie mit soliden, werthaltigen Aktien oder Aktienfonds”.
  • Und letztlich: In diesem Jahr finden Präsidentschaftswahlen in den USA statt, und dann gab es immer eine gute Börsenperformance.

Weisgarnix.de ist mit manchen Feststellungen durchaus einverstanden, mit einigen aber gar nicht, und vor allem nicht mit den Schlüssen aus dieser Bestandsaufnahme. Ich persönlich schlage mich auf die Seite Hellers. Aber schauen wir uns die Gegenargumente an:

  • Die Bankenkrise sei voll im Gang. Ok, darüber zerbrechen sich ganze “Banken für Internationalen Zahlungsausgleiche” die Köpfe, die Frage erscheint mir etwas zu kompliziert, um sie hier einfach mit “Ja” oder “Nein” zu lösen. Gewiss ist einiges in den Kursen, aber was, wie viel — eine Glaubensfrage… Unentschieden…
  • Dass die Rezession die USA doch nicht besuchen wird, ist auch meiner Ansicht nach nicht so abwegig, Wiessgarnix.de protestiert aber energisch:

    Wie kann man nur zu so einer verqueren Aussage kommen, wenn man sich ernsthaft das Spektrum an Meinungen und Kommentaren zur US Wirtschaft ansieht, auch und vor allem von solchen Persönlichkeiten, die keineswegs als notorische Bären gelten. Marty Feldstein, Bill Gross von PIMCO, aber selbst ein Alan Greenspan sehen die USA bereits in einer Rezession, und deren Stimmen wischt er einfach mal so beiseite? Auch ein Ben Bernanke und seine FED eiern in der Frage “Rezession” herum wie noch selten zuvor, was für mich nicht gerade auf klare und überzeugende Sicht auf die Lage und die nächste wirtschaftliche Zukunft deutet.

    Mein letztes Update zu Alan Greenspan war im übrigen folgendes (26. Mai 2008):

    The former chairman of the Federal Reserve said: “I still believe there is a greater than 50 per cent probability of recession.” But, he said, “that probability has receded a little and I think the probability of a severe recession has come down markedly”.

    FT.com, Recession still likely in US, says Greenspan

    Ãœbrigens, Mister Gross nicht als “notorischen Bären” zu bezeichnen, kann in Frage gestellt werden. Und dabei fällt mir jetzt diese Geschichte ein

    Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA in 2008 (und wann, wenn nicht in diesem Jahr?) wird bei intrade.com bei ca. 30 Prozent geschätzt — runter von bis zu 75 Prozent. Neulich wurde das US-BIP fürs erste Quartal auf 1,0% herauf revidiert. Ein Prozent ist zwar nicht sonderlich viel und kann schnell dahinschmelzen, es ist aber ein kleines Polsterchen bis die niedrigen Zinsen und die Konjunkturpakete eine Wirkung zeigen…

    Trotzdem — ja, die Rezession ist bei weitem nicht vom Tisch. Hier drohen negative Nachrichten seitens der Gewinnentwicklung.

  • Dann kommen wir zu dieser: Zur Bewertung der Aktien, schreibt Heller:

    “Heute herrscht Pessimismus, und der DAX hat ein KGV von zehn.”

    Darauf Weissgarnix.de:

    Stimmt, aber erstens wegen der noch immer viel zu hohen Gewinnerwartungen und zweitens wegen der Übergewichtung der runtergeprügelten Finanzwerte im DAX.

    Die etwas zu hohen Gewinnerwartungen sind, glaube ich, auch Gottfried Heller bekannt — wobei, ob diese Gewinnerwartungen in der Tat bestehen, ist insofern fraglich als die aktuellen Kurse sie in keinster Weise wiederspiegeln. Würde man tatsächlich eine 10-prozentige Aktienrendite (über eine überschaubare Zeit) erwarten, stünden die Preise bestimmt woanders. Heller schreibt noch:

    Selbst wenn man bei den Unternehmensgewinnen Abstriche machen muss – Aktien sind noch immer niedrig bewertet.

    Ich glaube, hier kann man von einer gehörigen “Margin of Safety” ausgehen. Was die Banken betrifft — ja, sie ziehen den Durchschnitt nach unten, aber a.) sie haben auch die Indizes nach unten gezogen; b.) die übrigen Unternehmen wirtschaften noch recht gut…

    Hier eine aktuelle Ãœbersicht der Gewinnerwartungen in den USA.

  • Weissgarnix.de will nicht gegen die Profis wetten… Das überlasse ich gern jedem selber zu entscheiden. Ich denke, genau gegen die Profis wetten, ist häufig am vernünftigsten.
  • Das Wahljahr — dem kann ich auch nicht vertrauen…
  • Und letzter Punkt: Anlagealternativen

    Hier wäre ich auch etwas vorsichtiger als Gottfried Heller. Wir befinden uns in einem ambivalenten Zinsumfeld: Weltweit erhöhen viele Zentralbanken die Zinsen, die Inflation ist zu hoch. Die wichtigste Notenbank, die Fed, hält aber an eine sehr expansive Geldpolitik.

    Ich glaube, zunächst müssen wir eine Zinsentspannung global spüren — ich meine: Ende der Zinserhöhungen bzw. der Inflationsangst (ansonsten sind die realen Zinsen eindeutig zu niedrig). Diese wird wahrscheinlich erst nach deutlicherer Konjunkturabkühlung und/oder Abkühlung der Rohstoffmärkte kommen.

    Ich habe schon mal des öfteren die Erfahrung gemacht, dass die Börse eigentlich zu langsam “läuft”, sie braucht mehr Zeit. Auch jetzt, schätze ich, werden die von Heller geschilderten Umstände zum Tragen kommen, aber ich erwarte sie ein Tickchen später.

    Nichtsdestotrotz macht man im Moment, denke ich, keinen schlechten Einkauf an den Börsen. Wartet man, bis sich alle Wolken verzogen haben, wartet man zu lange.

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6 Kommentare bis jetzt ↓

  • Saviano // 8. Jul, 2008

    Der Punkt, auf den ich häufig verweise — nämlich: die weiterhin restriktive Geldpolitik in vielen Teilen der Welt (nicht in den USA) — und der bei mir für etwas Zurückhaltung sorgt (bei sonst attraktiv erscheinenden Aktienkursen), wird von Ken Fisher ziemlich entkräftet. Er erkennt keinen Zusammenhang zwischen (expansiver oder restriktiver) geldpolitischer Richtung und Aktienperformance:

    It is presumed that increases in the Fed’s target rate for overnight loans are bad for stocks because high interest rates make the future earnings from corporations less valuable today. But the connection is not so neat.

    Since 1970 there have been eight stretches in which the Fed was tightening and eight in which it was loosening. These periods ranged from 6 months to 56 months long. Recently I made two tables, one showing stock returns (as measured by the MSCI World Index) over various periods beginning at the starting points of the tightening periods, the other showing returns beginning at the starting points of the loosening periods. The periods covered 3, 6, 12 and 24 months. I’ve asked both large audiences and individuals to tell me which set of returns was for the tightening times and which for the loosening. They’ve been stumped. There’s no pattern. They look almost identical.

    For example, 24 months after tightenings started, returns averaged a cumulative 16.9%; 24 months after loosenings they averaged 19.7%. But look at medians instead of averages and the results flip-flop to 18.1% for tight money and 12.4% for loose money. You can’t find any pattern over shorter holding times, either. Despite what your gut tells you, central bank action holds no useful information about where stocks are going.

    Forbes.com, Don’t Fret About the Fed

    Das kann uns nur beruhigen… Mindestens zum Teil. Denn — und diese Korrelation teilt uns Fisher leider hier nicht mit — etwas wichtiger sind die langfristigen Zinsen. Diese sind noch ziemlich konstant, in gewissen Märkten jedoch spüren wir Aufwärtsdruck…

  • Saviano // 8. Jul, 2008

    Ich sehe gerade, dass egghat eine andere Statistik aus dem Web ausgegraben hat. Diese sähe so aus und legt nahe, Inflationszeiten sind dann doch deutlich gefährlicher:

    Bei Worldbeta gibt es eine Analyse der unterschiedlichen Anlagenklassen in Zeiten hoher und niedriger Inflation. Als Zeitraum mit hoher Inflation werden die Jahre von 1972 bis 1981 herangezogen (durchschnittlich 8,2% Inflation), die Jahre danach zählen für den Jahren mit niedriger Inflation (3,15% Preisanstieg im Schnitt).

    Und nun die Rendite der Anlageklassen aus US Sicht. Vorne steht die Rendite in Normalzeiten, sprich mit niedriger Inflation, dahinter die bei hoher Inflation.

    Anleihen: 10,84 gegenüber 3,27 –> Extrem schwächer
    Aktien: 14,11 gegen 8,46 –> deutlich schwächer
    Ausländische Aktien: 12,54 gegen 14,12 –> leicht schwächer
    Rohstoffe: 19,16 gegen 12,65 –> Wesentlich besser(!)
    REITs (Immobilien): 11,16 gegen 12,83 –> leicht schwächer

  • egghat // 11. Jul, 2008

    Kleines Update, da war ein peinlicher Zahlendreher drin; der Text war allerdings richtig.

    Anleihen: 10,84 gegenüber 3,27 –> Extrem schwächer
    Aktien: 14,11 gegen 8,46 –> deutlich schwächer
    (UPDATE: in den folgenden 3 Zeilen waren die beiden Zahlen vertauscht. Rohstoffe sind in Zeiten hoher Inflation BESSER als in “Normalzeiten”. Sorry für den Fehler!)
    Ausländische Aktien: 14,12 gegen 12,54 –> leicht schwächer
    Rohstoffe: 12,65 gegen 19,16 –> Wesentlich besser(!)
    REITs (Immobilien): 12,83 gegen 11,16 –> leicht schwächer

    Zum Heller: Das DAX KGV von 10 ist natürlich ein Witz. Hat der die Auftragseingänge der Industrie gesehen? Wir sind da im Minus! Woher soll dann Umsatz und Gewinnwachstum kommen?!?

  • Saviano // 11. Jul, 2008

    Hat der die Auftragseingänge der Industrie gesehen? Wir sind da im Minus! Woher soll dann Umsatz und Gewinnwachstum kommen?!?

    Das ist wohl richtig, allerdings halten sich die Jahreswerte noch im Plus:

    Ihren Vorjahresabstand überschritten die Auftragseingänge in der Industrie im April/Mai um 6,3 %.

    Die Auslandsaufträge lagen um 6,1 % und die Inlandsaufträge um 6,4 % über dem Vorjahresniveau.

    Quelle: Entwicklung des Auftragseingangs in der Industrie Mai 2008 (PDF)

    Die dunklen Wolken ziehen auf — das ist keine Frage; ab jetzt werden sich auch die Umsätze und die Gewinne für ein paar Quartale nicht mehr so gut entwickeln (wohl milde gesagt…). Aber wie viel Wachstum braucht man, um eine Aktienrendite zu rechtfertigen, die deutlich höher als die Anleihenzinsen liegt?

  • egghat // 11. Jul, 2008

    Dunkle Wolken ziehen auf?

    Der Vormonatswert wurde zwar um 0,6 Prozentpunkte auf -0,2 % gg. Vm. nach oben revidiert, doch ging die Industrieproduktion im Mai zum dritten Mal in Folge zurück. Die Jahresrate fiel von 5,0 % auf 0,8 %.

    Die sind schon da …

    Bye egghat

  • Bottom-Fishing • Börsennotizbuch // 18. Nov, 2008

    [...] einem Allzeit-Tief (hier noch etwas zum Thema Wendepunkte Sentiment vs. Aktienmarkt), allgemeine Bemerkungen zur Sentimentslage oder Sonstiges. Das miese Sentiment ist ja einer der Bausteine der [...]

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