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Börsennotizbuch

Ein seriöses, aber lockeres Gespräch über die Börse
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Die Anleger glauben nicht an Beschwichtigungen

27. Juli, 2007 ·

Eines muss man den mittelfristig orientierten Teilnehmern der Stimmungserhebung der Deutsche Börse AG bescheinigen: Sie reagieren zurzeit mit beachtlicher Geschwindigkeit auf alle negativen wie positiven Informationen. Der leichte Optimismus der Vorwoche ist nämlich abermals in Pessimismus umgeschlagen – gemessen am Bull-Bear-Index nicht nur auf ein neues Jahrestief, sondern auf den niedrigsten Stand seit April 2006. Überhaupt war das Pessimistenlager nur ein einziges Mal in der Geschichte unserer fast fünfjährigen Aufzeichnungen noch voller, und zwar im August 2005. Gleichzeitigen sind die Erwartungen wieder ähnlich polarisiert wie bei der Erhebung am 27. Juni, als beim DAX® ein ähnlich niedriges Korrekturtief zu verzeichnen war.

So schreibt Joachim Goldberg in seiner letzten Kolumne zur Sentimenterhebung von cognitrend. Und wie ich bereits vor kurzem hingewiesen habe, scheinen sich in der Tat die Stimmungsmuster etwa seit Februar dieses Jahres (seit der ersten größeren Korrektur in 2007 – den ersten China- und Immobilienturbolenzen) “grundlegend” geändert zu haben. Die von cognitrend gemessenen Stimmungsschwankungen sind offensichtlich und “oszillieren” um die Null-Linie, sprich: mal gewinnt der Optimismus kurzfristig Oberhand, mal drücken Sorgen das Sentiment ins “Bearishe”.

Und nun rutscht der Stimmungsindikator deutlich ins Negative. Die logische Ableitung von Joachim Goldberg (im Grunde die Essenz der Sentimentanalyse, verzeihen Sie die große Vereinfachung) lautet: das Kursniveau dürfte von unten gut und/oder immer besser abgesichert sein. Denn die Sorgen werden (schnell?) eingepreist, Geld wandert an die Seitenlinie und bildet die “Quelle” für die zukünftige Nachfrage (ganz zu schweigen von Short-Positionen, die auch mal geschlossen werden müssen).

Man muss nicht lange suchen, um den Top-Angstmacher der Woche zu finden:

Hauptgesprächsthema während des Berichtszeitraums war natürlich auch bei den DAX-Anlegern die sich ausweitende Krise um die US-Ramschhypotheken. Noch vor Wochenfrist hatte der Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, eingeräumt, die Immobilienkorrektur könne länger als erwartet ausfallen. In diesem Tenor hörte man auch andere offizielle Stimmen der Notenbank sowie ein Statement des US-Finanzministers Paulson. Allesamt vermittelten den Eindruck, die Risiken seien überschau- und kontrollierbar. Man hatte fast schon das Gefühl, die Akteure an den Finanzmärkten sollten Placebos verabreicht bekommen.

Das Interessante ist aber, dass die Investoren – wie Joachim Goldberg anmerkt – die “Beschwichtigungen” offensichtlich keinen besonderen Glauben schenken. Sie malen sich vielmehr aus, wie schlimm alles werden kann, und nah am ATH fühlen sich schon nicht wenige unwohl.

Vor mehr als einem Jahr schrieb ich “Die Pessimisten sind pessimistisch, die Optimisten sind optimistisch: Die Börsen-Welt ist in Ordnung”. Irgendwo ist, denke ich, dieser Satz auch heute anwendbar. Eine der wichtigsten Funktionen der Aktienmärkte (und der Finanzmärkte) ist eben, eine Balance der Risiken (vor allem der Risikowahrnehmungen) zu schaffen. Die Börse ist in einem “normalen” und weniger anfälligen Zustand, wenn Optimismus und Pessimismus deutlich präsent sind. Vor einem ähnlichen Hintergrund (im oben verlinkten Beitrag) habe ich geschrieben:

Die Risiken mögen in der Wirtschaftsentwicklung stecken, solange sie nicht in der Börse selbst sind, sollte man entspannt bleiben.

Die “Entspannung” hat sich damals sehr gut gelohnt. Heute jedoch kann ich diesen Satz nicht 100-prozentig wiederholen. Ich glaube, die Risiken stecken heute immer noch nicht in den Aktien im engeren Sinne, aber im breiteren “Finanzierungs- bzw. Liquiditätskontext” schon. Dies ist zum Ende von Zinserhöhungszyklen keine Seltenheit. Da unser Finanzsystem – im positiven wie im negativen Sinn – am Tropf des Zinses hängt, dürften die Zinserhöhungen mindestens ein erhöhtes Herzklopfen verursachen (sogar eine Herzattacke?).

Da ich mit dem Sentiment anfing: Sicher ist das negativ gewordene Stimmungsbild im Zweifel unterstützend, aber sollte die Liquidität die wichtigste Ursache für die Nachfrageschwäche sein (jetzt oder in den kommenden Monaten), wird uns diese Unterstützung kaum reichen. Ich vermute, wir haben noch nicht die ganze Korrektur gesehen.

Kategorien: Frontpage · Gesamtmarkt · Sentiment

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