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Bald Entspannung bei der Inflation?

22. Juli, 2008 · 4 Kommentare

Die Menschen (und die Anleger im Speziellen) haben die Gewohnheit, den aktuellen Stand der Dinge leicht in die Zukunft fortzudenken. Besonders dann, wenn dieser auch eine Weile dauert und durch eine Reihe von (guten) Argumenten begründet ist (was üblicherweise kein Wunder ist, da der aktuelle Zustand auch von irgendwo kommen soll).

Kann man nicht etwas Ähnliches bei der Inflation erkennen? Der Preisdruck, der sich bereits seit einigen Jahren in zu hohen und recht hartnäckigen Inflationsraten (vor allem der Gesamtinflation) niederschlägt, gilt als neue “natürliche Ordnung” (langfristiger Chart der Inflationsentwicklung in den USA hier). Die viel beschworenen Kräfte der Globalisierung, der intensiven internationalen Konkurrenz und der großen Produktivitätsschritte (sowie Kapazitätenausbau) etwa in den Schwellenländern haben scheinbar alle ihre argumentative Kraft verloren. Der Konsens geht nicht mehr in Richtung “The Great Moderation”, sondern hin zur Angst und der Selbstverständlichkeit einer quasi Preisexplosion.

Vergessen auch die Befürchtungen der Notenbanken vor der Deflation — sie werden fast als lächerlich herausgestellt, im besten Falle als eine (im Nachhinein) falschen Interpretation und Ursache für den erhöhten Preisdruck jetzt.

Zu den Letzteren kann man aber mehr als nur ein paar Worte der Rechtfertigung finden. Damals schrieben wir die Jahre 2003-2004 und hatten gerade die schwerste Börsenbaisse seit den fürchterlichen 30er im Rücken. Wenn man einen Blick auf die oben verlinkte Inflationsgrafik wirft, stellt man schnell den damals steilen Rückgang der Kerninflation fest (auf ca. 1%). Mit der früheren Erfahrung und dem Bespiel Japans vor Augen konnte man ganz berechtigt deflationäre Tendenzen befürchten.

Übrigens ist auch heute die Beachtung der Kernrate nicht so verkehrt wie häufig dargestellt. Natürlich ist es die Gesamtinflation, die uns unmittelbar und alltäglich betrifft, die Kernrate ist jedoch diese Komponente, die den weitaus größeren Teil der (hiesigen) Wirtschaft repräsentiert. Mit über 2 Prozent ist sie in Europa wie in Amerika nicht zu niedrig, fiele sie aber etwas deutlicher, würde dies ein Signal sein, dass zumindest Teile der Wirtschaft (darunter bestimmt ganze Branchen) handfestem Deflationsdruck ausgesetzt sind.

Lange Rede, kurzer Sinn — ich bleibe noch im Lager derjenigen, die sich schwer vorstellen können, dass eine (globale) Konjunkturabkühlung mit gleichzeitig andauernd hohen Inflationsraten einhergehen kann. Ähnlich geht es Dieter Wermuth, der angesichts der sich verlangsamenden Weltwirtschaft prognostiziert:

Bei den Inflationsraten wird es dagegen schon bald wieder bessere Nachrichten geben, trotz des starken Drucks in der Pipeline. Die Erzeugerpreise für Juni, die heute morgen veröffentlicht wurden, sind ein Beispiel für diesen Druck. Sie lagen um 6,7 Prozent über ihrem Vorjahresstand – einen solch starken Anstieg hatte es zuletzt vor einem Vierteljahrhundert gegeben. Die Käufer der Industrieprodukte werden versuchen, diese Kosten zu überwälzen. Es wird ihnen aber nicht so richtig gelingen, da die schwache Endnachfrage das kaum zulässt. Sie werden ihrerseits außerdem weniger kaufen und auf höhere Rabatte drängen. Mit anderen Worten, ähnlich wie in vergleichbaren Situationen in der Vergangenheit werden die Gewinnmargen der Unternehmen unter Druck geraten. Da sie bis vor kurzem noch auf Rekordniveau waren, muss das keine Katastrophe sein. Der Aktienmarkt nimmt eine langsamere Zunahme der Gewinne übrigens schon vorweg.

Umfassende Begründung sowie eine Reihe von aktuellen Daten zum Stand der (globalen) Weltkonjunktur bei Herdentrieb: Scharfer Gegenwind – Inflation bald aber kein Thema mehr.

Fortschreiben ist natürlich und leicht, aber jeder Trend kann mal zu Ende kommen. Die Geschichte ist voller Beispiele. Und das Wichtigste — die Faktoren, die dieses Ende “vorbereiten”, werden einer nach dem anderen sichtbarer. Oder?

Kategorien: Frontpage · Inflation

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4 Kommentare bis jetzt ↓

  • egghat // 22. Jul, 2008

    Ich bleibe auch bei meiner These:

    Entweder wir bekommen ein Decoupling, dann bleibt die Inflation ein Thema und wenn wir Pech haben, gibt es eine Stagflation
    ODER wir bekommen kein Decoupling, dann geht die Inflation zurück und wenn wir Pech haben, landen wir einer Deflation.

    Was kommt, weiss ich nicht. Wusste ich noch nie. Ich weiss eh nichts und schaue immer nur in die Vergangenheit. Der Blick in die Geschichte nützt aber nichts, weil die neuen und mglw. entscheidenenden Player Indien und China früher nicht relevant waren.

    Btw: Ist das Paket angekommen?

  • Saviano // 23. Jul, 2008

    Ich bin Anhänger der “Non-Decoupling”-Theorie. Auch wenn die Wirtschaften in den Emerging Markets nach wie vor Wachstumspotenzial haben, ist die Weltwirtschaft immer stärker integriert, so dass ich entsprechende Auswirkung erwarte.

    Somit bin ich näher an deinem Deflationsszenario, aber ich glaube nicht, das wir so viel Pech haben werden…

    PS: Ja, ist angekommen, vielen Dank! Ich überlege mir schon die nächste Wette ;-)

  • egghat // 24. Jul, 2008

    Dann nehmen wir aber zwei Flaschen, sonst ist das Porto ja fast teurer als der Inhalt …

    Zum Wohle!

  • Das Geschäftsklima kühlt sich weiter ab. Die deutliche Divergenz zwischen Erwartungen und Lagebeurteilung bleibt. • Börsennotizbuch // 25. Jul, 2008

    [...] ich bereits im Kommentar geschrieben habe, rechne ich mit einer allgemeinen Verlangsamung der Weltkonjunktur. Klares [...]

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