Am Donnerstag beschloss die EZB, die Leitzinsen für weitere vier Wochen bei 4 Prozent zu belassen. Hier und da (und ziemlich häufig) liest und hört man “Die EZB hat damit dem Druck der Finanzmärkte standgehalten” — also ob hier ein “Standhalten” per se so richtig und so lobenswert wäre. Die Finanzmärkte werden als eine Macht dargestellt, die per se etwas Böses, Negatives, der Wirtschaft Schadendes bezweckt!?
Die Reaktion der Börse am Donnerstag, wird als Enttäuschung gedeutet — Enttäuschung für die Börsianer, für die Banker und die Fondsmanager, aber als richtige Genugtuung womöglich für die “ehrlichen Wirtschaftsakteure”, für die Verbraucher und Normalverdiener. Diese komische Teilung ist wohl typisch für die deutsche und die europäische Wirtschaftsberichterstattung…
Nicht so lustig wird es sein, wenn die “gute, reale Wirtschaft” in Folge einer verschärften Krise der Finanzmärkte auch zu leiden bekommt. Wenn Jobs verschwinden, wird es vermutlich schwieriger, den Arbeitslosen mit Argumenten wie “wir haben aber einen richtig festen Euro” die Laune zu bessern oder sie mit “wir haben dem Druck der Finanzmärkte standgehalten” zu beruhigen.
Minister und Wirtschaftsvertreter beteuern, dass wir es hier in Europa und in Deutschland nicht mit einer Rezession zu tun haben. Stimmt, noch haben wir es nicht zu tun. Die Amerikaner möglicherweise auch noch nicht, aber sie reagieren promt. Natürlich scheinen die Probleme jenseits des Atlantiks etwas höher dosiert zu sein, ein frühzeitiges Handeln in Europa dürfte aber auch nicht schaden. Vergessen wir schließlich nicht, wer die dynamischere Wirtschaft hat. Und zwar nicht nur nach faktischen Kriterien wie Wachstumsraten und Arbeitsmarktflexibilität, Demographie und Innovationsdynamik. Die Mentalität spielt auch eine erhebliche Rolle.
Und ich befürchte, dass das fragile europäische (Wirtschafts-)Sentiment ziemlich schnell wieder kippen kann. Besonders in Deutschland haben wir gerade eine ungewöhnlich lange Konjunkturschwäche erlebt, die – meiner Meinung nach – dauerhaft psychologische Spuren hinterlassen hat. Die Narben sind bei Weitem nicht verheilt: Die Menschen wagen es noch nicht, optimistischer in die Zukunft zu schauen, zu konsumieren, größere Anschaffungen zu planen und zu finanzieren. Sie sparen lieber. Nein, tugendhaft ist das nicht. Und latent leben wir immer noch in der Stagnationsperiode…
Für die Amerikaner mache ich mir – erstaunlicherweise – weniger Sorgen. Die Amerikaner sind vitaler. Ihre Wirtschaft neigte schon immer, volatiler zu verlaufen; hart getroffen, schnell abbremsen, schnell wieder aufwärts. Das liegt ihnen irgendwie.
Aber was tun, wenn wir nach dem kurzen deutschen Aufschwung wieder in die selbstbemitleidende Lethargie der vorherigen Jahre zurückfallen? Dann finden sich wieder für ein ängstlich-gläubiges Auditorium genug pessimistische Redner und große Reformen, die unbedingt noch mit Schmerz durchzuführen wären…
Die EZB will aber noch warten. Mögen die Damen und Herren Recht behalten. Ich befürchte aber, dass hier etwas zu wenig auf die nicht-faktischen Seiten der Prozesse geschaut wird. Wenn sich die Wirtschaft erst abschwächt und der Inflationsdruck nachlässt, kann es womöglich schon zu spät sein. Eben weil sich die psychologische Verfassung der Bevölkerung sehr schnell wieder verschlechtern kann. Genau wie so Manches im Finanzsystem einfach ein gutes altes “Vertrauen” ist, ist im Wirtschaftsleben so Manches einfach ein guter, alter “Optimismus”.
Das beides sind Sachen, die mehr zählen als Budgetdefizite und Inflationszahlen zusammengenommen.
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