Im Herdentrieb wird die Arbeitsproduktivität in USA, Euroland und Deutschland verglichen. Es ist ja fast eine ökonomische Banalität geworden, Europa und Deutschland als wesentlich unproduktiver zu bezeichnen als die USA. Und daraus gefolgert, verlangen Ökonomen wie Politiker stets Strukturreform nach Strukturreform.
Gleich vorweg – die Wirtschaft in Europa ist meiner Meinung nach natürlich nicht optimal organisiert. Ich denke, die USA haben schon einen Vorsprung in den allgemeinen Bedingungen für Business und in der Flexibilität der ganzen Wirtschaft.
Aber wie Dieter Wermuth anmerkt, die Produktivitätsniveaus in diesen drei Regionen sind gar nicht so unterschiedlich – es kommt im Wesentlichen auf den Wechselkurs an. Der Beitrag ist auf jeden Fall lesenswert: Alles paletti bei der Produktivität – kein besonderer Anlass für Reformen.
Den Titelzusatz will ich erstmal als journalistische Zuspitzung gegen die Schwarzmalerei werten, und weniger als tatsächlichen Aufruf, keine Reformen zu machen.
Eigentlich erinnerte ich mich an die makroökonomischen Überlegungen von Solow, die ich gefühlsmäßig durchaus teile.
Im Grunde genommen eine der ursprünglichen Fragen der Ökonomie war und ist, wie Wohlstand entsteht. Wenn sie dann die klassische Lehre studieren, werden sie viel von Kapitalstock, Ersparnisse, Akkumulation als die Quellen des Wohlstandes hören. Solow hatte irgendwann versucht, diese Zusammenhänge empirisch zu untersuchen. Was er herausfand, war, dass der Wohlstand zu – sagen wir – 80 Prozent durch den technischen Fortschritt zustande kommt.
Womit ich bei der Produktivität wäre, die – zurecht – als die wesentlichste Quelle des Wohlstandes im ökonomischen Sinne gilt. Da der technische Fortschritt wiederum eine der wesentlichsten Quellen für steigende Produktivität ist, klingen die Ãœberlegungen von Solow durchaus plausibel.
Sie können auch Hundert Jahre Kapitalstock akkumulieren, sich wahnsinnig sparen und alles wieder investieren, Ihr Wohlstand wird sich unwesentlich ändern verglichen mit dem, was der technische Fortschritt bringt. Anders gesagt, mit den alten Webestühlen und der Dampflokomotive, hätten wir nicht sehr viel gehabt, auch wenn die tollste Akkumulation stattgefunden hätte. Das ist auch einer der Gründe, weswegen völlig zerstörte Länder in wenigen Jahren wieder komplett aufgebaut werden können. Der Kapitalstock ist weg, aber wenn die Technologie und das Know How da sind, ist alles schnell aufholbar.
Die Frage ist also, ist die moderne Technologie in der Wirtschaft (und hier kann man auch etwas breiter fassen: in der Gesellschaft, Organisationsstrukturen etc.) bis zu welchem Grad implementiert? Und hier steht Europa nicht schlechter da. Daher sollte auch die Arbeitsproduktivität auch ungefähr die gleiche sein.
Und dass die Amerikaner, mit einer ähnlichen Produktivität ausgestattet, mehr zu arbeiten wählen, bringt ihnen natürlich eine höhere Pro-Kopf-Leistung, ist aber an sich eine Geschmackssache, wie Dieter Wermuth sagt. Europa muss sich hingegen anstrengen, Bedingungen zu schaffen, damit mehr Menschen eben nach ihrem Geschmack wählen können, ob sie mehr arbeiten möchten. Denn im Moment haben wir noch etwas zu viele unfreiwillige Freizeitgenießer.
2 Kommentare bis jetzt ↓
Die negative Sparrate der Amerikananer: Drei Stimmen • Börsennotizbuch // 8. Aug, 2007
[...] Die negative Sparrate der Amerikaner ist von vielen mit Unbehagen beobachtet. Für viele ist sie Vorbote einer unausweichlichen Krise. Ich bin entspannt – die Volkswirte mögen mir verzeihen, aber erstens messen sie das Sparen nicht richtig und nicht komplett und, zweitens, mit Sparen ist nicht sonderlich viel zu erreichen (die Sparrate bezieht sich ja auf die Haushalte, nach Steuern). Technologie ist zum Beispiel viel, viel wichtiger. [...]
Lose Gedanken: Systemkritik • Börsennotizbuch // 27. Jul, 2009
[...] und Investieren, solange dieser Prozess ohne einen technischen Fortschritt betrachtet wird) (vgl. Produktivitätsvergleiche Euroland und USA). Soweit die Europäer schnell und umfassend genug auf dem neuesten technologischen Stand sind, [...]
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