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Chinesische Schwächen

12. März, 2007 ·

In einem sehr guten Artikel in der Zeit beschreibt Will Hutton die zahlreichen Schwächen des chinesischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells (Der Koloss braucht unsere Hilfe!). Was mir dabei besonders gefällt, ist der deutliche Hinweis darauf, dass China eigentlich ein autoritäres, unfreies, sozial äußerst zurückgebliebenes Land ist (ein „Leninistischer Korporatismus“ wie der Autor es nennt) – Fakten, die – wer weiß warum – von den Wirtschaftsdaten überblendet werden. Außerdem wird klar, wie plötzlich sich die Sichtweise vom chinesischen Wirtschaftswunder ändern kann: die bedrohlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten liegen ja auf dem Tisch, und es bedarf lediglich einer „Schärfung“ der Wahrnehmung auf diese Punkte. Ein Anlass wie der Kurssturz vor zwei Wochen kann schnell den ganzen Optimismus in Pessimismus umfärben. Und das sogar – kann ich mir vorstellen – auch bei den Asiaten und den Chinesen selbst.

Die Problempunkte reichen von der großen Ineffizienz der Wirtschaft über die grassierende Korruption und Innovationsschwäche bis hin zu maroden Finanzen und einem undurchsichtigen und anfälligen Bankensystem.

Bei all den guten Beschreibungen kann ich nicht ganz einige Schlussfolgerungen teilen:

Die Ignoranz des Westens gegenüber Chinas Schwächen ist unverzeihlich und führt zu einer maßlosen Übertreibung der so genannten chinesischen Gefahr. Keine Frage, China ist auf dem Weg, Exportweltmeister zu werden, aber deswegen bleibt es trotzdem ein Subunternehmer des Westens. Der Westen muss begreifen, wie fundamental die Probleme Chinas sind, und einsehen, dass die Gefahr einer politischen und ökonomischen Erschütterung besteht. Die Folgen für das globale Handels- und Finanzsystem könnten fatal sein. Nicht nur, weil ein wichtiger Teil der weltweiten Nachfrage einbrechen würde, sondern auch, weil die Chinesen nicht mehr weiter das US-Handelsdefizit mitfinanzieren würden.

Mit dem ersten Punkt bin ich einverstanden – die „chinesische Gefahr“ (aus Wirtschaftssicht) ist stark übertrieben. Dass China Exportweltmeister wird ist kein besonderer Grund zur Sorge. Auch die steigende wirtschaftliche Potenz des Landes (zumal sie unweigerlich mit breiterem Wohlstand einhergehen soll) ist sogar willkommen. Im Artikel wird darauf hingewiesen, dass „drei Fünftel der chinesischen Exporte und fast der gesamte Export im Technologiesektor von ausländischen Firmen produziert werden“.

Aber „fatale Folgen“ für den Westen würde ich nicht unbedingt sehen. Eine Finanzkrise – das kann passieren. Solche Beispiele hatten wir Mitte der 90er mit der Asien-Krise, der Russland-Krise und den Verwerfungen in Lateinamerika. Zu fatalen Folgen haben sie nicht geführt, aber zu substanziellen Erschütterungen an den Devisen und Aktien-Märkten.

Außerdem scheint es mir – Entschuldigung! – naiv, in den Chinesen die „Finanziers der US-amerikanischen Defizite“ zu sehen und vielleicht sogar ihnen überhaupt das Überleben der US-Wirtschaft zu verdanken. Das ist mit etwas gesundem Menschenverstand einfach lächerlich. Umgekehrt ist schon richtiger: dank der US-amerikanischen Wirtschaft (und der westeuropäischen selbstverständlich) funktioniert überhaupt irgendetwas in China, kann produziert, finanziert und exportiert werden.

Dass der Westen nun China begleiten und helfen soll, einen möglichst stressfreien Wandlungsprozess zu vollbringen, ist die nächste und die abschließende gute Beurteilung des oberen Artikels.

Kategorien: Analysen · Frontpage

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