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Eine Stellungnahme von Helmut Schmidt zu den globalen Finanzproblemen

4. Februar, 2007 ·

Zeitung-Kolumne-ArtikelEin langer “Wochenendartikel” von Helmut Schmidt in der Zeit, der sich mit den globalen Finanzmärkten und der Macht der Hedge und Private Equity Fonds beschäftigt: Beaufsichtigt die neuen Großspekulanten!

Der Aufruf des Alt-Bundeskanzlers zur einer strikteren und restriktiveren Regulierung und Beaufsichtigung der neuen, mächtigen Akteuren an den Finanzmärkten ist allzu verständlich und kann, denke ich, ohne weiteres unterstützt werden. Dennoch fand ich den Artikel in vielen Stellen strittig. In vielen Passagen ist, meiner Meinung nach, von erstens moralische und zweitens ökonomischen Postulaten ausgegangen, die als “gesetzt”, “axiomatisch” genommen werden, ohne es unbedingt zu sein.

Zum Beispiel:

Kreditfinanzierte Übernahmen gut gehender Unternehmen – zunehmend durch Private Equity Fonds – sind an der Tagesordnung. Dazu kommt vielfach eine grandiose Selbstbereicherung. Finanzmanager treten als Eigentümer auf und entscheiden zum eigenen kurzfristigen Vorteil über das Schicksal eines fremden Unternehmens und all seiner Mitarbeiter.

Instinktiv fühlt man sicherlich eine moralische Notwendigkeit, “so etwas” kritisch zu beurteilen. In welchem Punkt unterscheidet sich aber das Handeln der Finanzinvestoren von dem ebenso gewinnorientierten, ja gierigen, Treiben des Würstchen-Verkäufers? Was gibt es denn so verwerfliches an kreditfinanzierten Ãœbernahmen? Irgendwie sollen sie doch finanziert werden. Wären die Ãœbernahmen aus “ehrenwürdigen” Ersparnissen bezahlt, wären sie dann moralisch weniger anfechtbar? Wir fangen an über Moral des Kreditierungssystems zu sprechen, wohl wissend, dass ohne dieses die Wirtschaft unmöglich das heutige hohe Niveau von Wohlstand, Produktivität und technologischen Fortschritt hätte erreichen können.

Und was soll dies mit dem “fremden” Unternehmen und den “fremden” Mitarbeitern? Der Finanzinvestor kauft ja das Unternehmen (oder zumindest Teilen davon) – es wird ja sein Unternehmen…

Das Problem in Deutschland ist es eher, dass die Unternehmen eben gesund und profitabel sind, aber chronisch unterbewertet. Vor dem Hintergrund global niedriger Zinsen lassen sie sich leicht und gewinnbringend übernehmen. Vielleicht haben die deutschen Massen, die brav sparen und eine so tolle Sparquote haben (“Deutschland verfügt über eine gesunde private Sparquote – ganz anders als die USA mit einer privaten Sparquote gleich null!” – Zitat aus dem gleichen Artikel) auch ihr Verschulden daran, dass sie die Ersparnisse lieber auf minimalen Zinsen anlegen, anstatt durch Mehr-Investments in den Unternehmen und Aktien, den deutschen Firmen Vertrauen entgegenzubringen und entsprechend ihre Bewertungen anzuheben. Jetzt kommen (ausländische) Investoren, die Vertrauen in den deutschen Unternehmen zeigen, hier Potenziale und Möglichkeiten erkennen und einfach danach handeln. Und das ist gleich moralisch verwerflich!

Das deutsche Publikum zieht in der gleichen Zeit Mittel in Milliardenhöhe aus Aktienfonds ab und wundert sich nachher, dass die hiesigen Unternehmen mehr und mehr in ausländische Hand übergehen, relativ an Gewicht verlieren und Übernahmekandidaten von Konzernen, die durch höhere Marktkapitalisierung (im Ausland) die nötige Finanzkraft aufbringen.

Und auch noch die Problematik des US-amerikanischen Defizits und Abhängigkeit von Kapitalimporten…

Weil die meisten ausländischen Zentralbanken und andere ausländische Gläubiger ihre Dollar wiederum in den USA anlegen und weil ausländische Firmen und Privatpersonen mit ihren eigenen finanziellen Überschüssen ein Gleiches tun, kommt es zu einem enormen Kapitalimport nach Amerika und zu hoher Liquidität in den beiden angelsächsischen Finanzzentren. Der Netto-Kapitalimport (amerikanische Kapitalexporte sind abgezogen) der USA hat heute jährlich die Größe von etwa sieben Prozent des amerikanischen Sozialproduktes. In diesem Ausmaß lebt die amerikanische Volkswirtschaft – einschließlich ihrer Investmentbanker und Fondsmanager – von den Überschüssen der Außenwelt. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich die Frage: Wie lange können sich die USA diese Verschuldung leisten? Oder andersherum: Wie lange wollen und können die ausländischen Partner der USA sich ihren Kapitalexport in die USA leisten?

Hier wird gebetsmühlenartig eine Formel wiederholt, die meiner Meinung nach zu schwach und irreführend ist. Die Amerikaner machen übrigens zur Zeit ein gutes Geschäft: ihre Wirtschaft wächst mit nominal 6-7 Prozent pro Jahr und Kapital nehmen sie zu langfristigen 5 Prozent auf. Warum hier der Profiteur unter diesem Geschäft zusammenbrechen soll, ist mir nicht ganz klar. Und generell – die Sehnsucht nach Gleichgewicht ist, halte ich, ökonomisch nicht unbedingt vertretbar. Die Stadt Hamburg hat bestimmt auch ein gravierendes Handelsbilanzdefizit – sie produziert ja kaum etwas von dem, was sie konsumiert. Heißt das jetzt, dass sie ökonomisch auf wackeligen Füssen steht? In der globalen Welt sehen wir eine historisch einmalige Arbeitsteilung, in der ganze Länder ähnliche Rolle einnehmen wie früher die in einem Nationalstaat eingebeteten Städte – bildlich gesprochen.

Aber so kann ich fast bei jedem Absatz etwas anführen. Viele der Gedanken kennen die Leser bereits, andere werde ich – auch dank des Artikels – noch ausführlicher behandeln. Wie auch immer – selber durchlesen ist auf jeden Fall empfehlenswert. Viele der Problemstellungen sind tatsächlich sehr relevant; man sollte sich darüber Gedanken machen und – entsprechend seinem Urteil – an den Finanzmärkten Entscheidungen treffen.

***
Nachtrag, 9. Februar 2007:

Im Kosmoblog (ebenso Zeit.de) wird die Stellungnahme von Helmut Schmidt einer Pro-Hedge-Fonds-Position von Sebastian Mallaby gegenübergestellt: Risiken und Chancen – die Debatte über Hedgefonds. Sebastian Mallaby ist “langjähriger Mitarbeiter des Economist, Autor einer Geschichte der Weltbank, jetzt Washington Post-Kolumnist und Mitarbeiter des Council on Foreign Relations” und veröffentlicht seine Argumente in einem Essay für die Zeitschrift Foreign Affairs: Hands Off Hedge Funds“.

Eine Zusammenfassung (beider) Thesen ist im Kosmoblog nachzulesen sowie weitere interessante Punkte und Ansichten zur Hedge-Fonds-Debatte.

Kategorien: Analysen · Frontpage · Gesamtmarkt

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